Volltext: Unteilbar und untrennbar (1,1919)

Die Balkankriegc, die Londoner Konferenz »nd Albanien. 191z. 
diese Gebiete sich längst als Beute gegenseitig — unter der 
Patronanz des Zaren — zugesprochen, das durfte ja jetzt noch 
nicht gesagt werden. Die Glorie der uneigennützigen Befreier 
mußte ihnen bleiben, bis — die Beute zum Teilen reif war. 
Der Vorschlag des Grafen Berchtold störte empfindlich diese 
geheimen Kreise, er fuhr mitten hinein in das Netz dieser Ab- 
machungen und riß es durch, so daß eines der wichtigsten Beute- 
stücke — Albanien — zu Boden fiel. In Serbien brach das 
obligate Wutgeheul los, aber daran war man nun nachgerade 
in Europa gewöhnt. Man wußte, daß diese Janitscharenmusik 
nur darauf berechnet war, die Nerven zu irritieren und daß 
ein Fingerzeig von Petersburg genügte, um diese künstliche 
Aufwallung sogleich zum Schweigen zu bringen. Alle diese 
pathetischen Phrasen, daß Serbien ersticken müsse ohne einen 
Zugang zum Meer, ohne adriatische Küste, blieben nur Worte: 
aber sie füllten die 
Luft mit Lärm und 
Unruhe. 
Die Schaffung ei- 
nes unabhängigen 
Albanien, diese von 
Deutschland und Ru- 
mänien unterstützte 
Forderung Hsterreich- 
Ungarns und Jta- 
liens war nicht 
weisen. Die russische 
Diplomatie beschloß 
nun, nicht offenen 
Widerstand zu leisten, 
sondern dieses Alba- 
nien zu einem un- 
lebensfähigen Staat 
zu machen. Den 
Traditionen ihrer Po- 
litik gemäß war es 
unerwünscht, endgül- 
tige und ruhige Zu- 
stände am Balkan zu 
haben: er sollte ein 
ewig brodelndes Feuer 
bleiben, an dem sich 
die Früchte ihrer Politik gar braten könnten. Albanien, 
wie sie es planten, sollte ein verkümmertes schwächliches Staats- 
wesen werden, ein Objekt der Vergewaltigung für seine Nach- 
barn: von seinem Rumpf sollten alle Gliedmaßen abgerissen 
werden, die wichtigsten Städte amputiert, die Blutzirkulation 
des Handels behindert. Nur mit dieser Absicht nahmen sie die 
Einladung zu dem Kongreß in London an, wo unter dem Vorsitz 
Edward Greys der Friede der Türkei mit dem Balkanbund und 
die Schaffung des neuen Staatengebildes beraten werden sollten. 
Dieser Londoner Kongreß war nichts als ein Verhängnis- 
volles Feilschen zwischen dem Dreibund und der Tripelentente 
um Albanien. Stück um Stück seiner Grenzen wurden ver- 
teidigt und erobert, wobei die Nachgiebigkeit Österreich-Ungarns 
die Ansprüche Rußlands — das angeblich bloß für die Sache 
des bedrohten Slawentums kämpfte — nur immer aufs neue 
reizte. Alles was vorläufig erreicht wurde, war, daß Serbien 
der direkte Zugang an die Adria verwehrt blieb, aber, um die 
beiden wichtigsten Städte Djakova und Skutari wogte noch 
immer der Kampf, als jenes zweite Programm des Kongresses 
— der Friede zwischen den Balkanstaaten und der Türkei — 
in Trümmer ging. 
Was für Österreich-Ungarn diese Verhandlungen zur Qual 
machte, war die stete und kostspielige Bereitschaft zum Kriege, 
die ihr nun zum drittenmale von den Nachbarn im Norden 
und im Osten aufgezwungen wurde. Da ein loyales Paktieren 
mit Rußland nicht möglich war, mußten große Teile der Armee 
auf erhöhten Stand gesetzt werden: gegen Serbien standen 
Truppen aufgestellt und auch in Galizien, wo Rußland gerade 
jetzt den Zeitpunkt für geeignet hielt, um seine berüchtigten 
„Probemobilisationen" vorzunehmen. Die Reservisten mußten 
zum Teil einberufen werden, wichtige Konferenzen des Grafen 
Berchtold und des Chefs des Generalstabes G. d. I. Freiherrn 
Conrad von Hintzendorf in Bukarest, die Besuche des deutschen 
Kaisers — alle diese öffentlichen Anzeichen mehrten jenen ent- 
schlichen Ungewißheitszustand, der sich fortwirkend auf ganz 
Europa verbreitete. Man fühlte wieder die Wolken sich ballen 
wieder war Serbien der Wetterwinkel und allmählich wuchs die 
Spannung zur Erbitterung, um so mehr als geradezu zum Hohn 
auf Österreich-Ungarn serbische Regimenter nach Durazzo mar- 
schierten und die Offiziere ihre Säbel dort zum Schwur des 
Verbleibens mit dem Wasser der Adria netzten. Die Armee 
fieberte. Wieder war sie in Bereitschaft an der Grenze, sie 
wußte, daß jenseits ein unversöhnlicher Feind war und konnte 
mühsam nur den Willen bezähmen, endlich einmal mit dem 
Schwert diesem Umschleichen und Bedrängen zu wehren. 
Wieder war es unseres Monarchen und Osterreich-Ungarns 
oft bewährte Friedensliebe, die zuerst einen Schritt gegen die 
Gegner tat, das erste Wort des Vertrauens sprach. Mit dem 
russischen Hose waren seit jenem politischen Duell Ährenthal- 
Jswolsky die Beziehungen abgebrochen, noch war der ganze 
Komplex der Fragen unerörtert. Da sandte Franz Joseph 
den Prinzen von Hohenlohe, den Gatten seiner Großnichte, mit 
einem Briefe an den Zaren. Der Inhalt dieses Schreibens ist 
nicht bekannt, aber sein Sinn ist offenkundig: er bot ein loyales 
Verhandeln an, statt des drohenden mit dem schußbereiten 
Gewehr, der greise Monarch zeigte wiederum öffentlich seinen 
feierlich bekundeten und seit beinahe fünfzig Jahren kraftvoll
	        
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