Volltext: Illustrierter Braunauer-Kalender 1903 (1903)

stellen. Ich aber melde mich beim Kloster Ravenforst, jenseits der Grenze, vier 
Wegstunden von hier, und bitte um Aufnahme in die Schaar der Laienbrüder. 
Dort kann ich besser Buße thun wie im Kerker." 
Getröstet athmete die Bäuerin auf. Schneller und besser löste stch_ Alles, als 
sie geglaubt und gehofft hatte. Zwar ihr und des Sohnes Leid würde nie vergehen, 
aber der Himmel würde es tragen helfen. 
Und der Kummer, der ihrer harrte, würde eine Strafe dafür sein, daß sie zu 
dem Unrecht ihres Mannes geschwiegen hatte. Jetzt erklangen die Weihnachtsglocken 
und riefen zur Mette, das Gesinde kam herzu und verließ das Haus wie am Abend. 
Als die Schäferstine kam, rief der Bauer sie abseits unter den Tannenbaum. 
Er faßte ihre Schultern und sah ihr mit ernster Rührung in die vom beständigen 
Weinen geratheten Augen. „Arme, arme Mutter," flüsterte er weich, „ich will Dir 
auch ein Weihnachtsgeschenk machen, daß Dich freuen soll!" 
„O Herr," gab sie weinend zur Antwort, „mich kann nichts mehr freuen auf 
der ganzen weiten Welt." 
„Nichts?" fragte der Heidehofbauer dringend und mit bedeutsamer Betonung. 
Die Schäferstine zuckte zusammen. Ahnte ihr Mutterherz das nahe Glück? 
„Der Franz ist unschuldig, Stine, der Thäter hat sich gemeldet, in kurzer Zeit 
ist Euer Franz wieder bei Euch und kein Schatten von Verdacht wird fernerhin 
noch auf feinen Namen lasten." 
„Heidehofbauer," schrie die Schäferstine gellend, „ist es wahr, was Ihr sagt?" 
„So wahr als Gott lebt, den ich gleich im heiligsten Sakrament empfangen will." 
Die Bäuerin umarmte die vor Freude weinende Frau und gab ihr die nöthigen 
Erklärungen, bat sie auch zu schweigen, bis der Bauer in Sicherheit sei. Dem Franz 
wollten sie, sobald Krahkamp nach Ravenforst aufgebrochen fei, selbst die Kunde seiner 
nahen Befreiung bringen. 
Das folgende in weitläufiger Aufzählung zu berichten, ist unnöthig. Der Leser 
kann sich im Geiste ein besseres Bild von der Freude der Schäferstine machen und 
von dem Jubel des unschuldig Verurtheilten, als es die Feder bieten kann. 
Krahkamp wurde ein demüthiget, fast übereifriger Klosterbruder. Fast an 
jedem Sonntag erhielt er Besuch vom Heidehof, den sein Sohn mit Umsicht und 
Geschick, durch die glücklichsten Erfolge belohnt, leitete, wobei ihm sein Freund, der 
Schäferfranz, als Verwalter mit Rath und That zur Seite stand. Fast stets kam 
einer von den beiden jungen Leuten, um ein Stündchen in frommen, erhebenden 
Gesprächen mit dem früheren Heidehosbaner zu verbringen, immer aber kamen die 
beiden alten Frauen, die Bäuerin und die Schäferstine, welche die innigste Freund¬ 
schaft verband. 
Der alte Krahkamp ist feit einigen Jahren todt. Er starb wie ein Heiliger, 
und von Nah und Fern kam Alles zur Beerdigung herbeigeströmt, was nur eben 
.Zeit hatte. Strenge Buße hatte seine That vernichtet, und Jeder, der ihn gekannt 
hatte, sprach nur mit Hochachtung von ihm. 
Der Heidehof aber blüht und gedeiht; von Jahr zu Jahr sind kleinere 
Flächen um den Hof im Frühherbst von blaublühender Heide bedeckt, während sich 
die Fruchtfelder mehren. Joseph hat ein Vorwerk von seinem Eigenthum abgetrennt, 
Felder und Weiden in hinlänglicher Ausdehnung hinzugeschlagen und feinen Verwalter 
-als eigenen Herrn in's Vorwerk eingeführt. Die Leiden der Vergangenheit sind bei 
Allen verblaßt, und die Zukunft lockt mit gewinnender Arbeit und freudigen Aus¬ 
sichten für die jungen Leute, die sich oft in glänzenden Plänen und Hoffnungen 
ergehen. Aber oft will es scheinen, als ob die beiden Greisinnen, welche bei gutem 
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