Volltext: Die älteste Geschichte des jüdischen Volkes (1, Orientalische Periode / 1925)

Schlußbemerkung 
Die oben dargelegte allgemeine Auffassung der jüdischen Geschichte 
bildete seinerzeit den Gegenstand einer wissenschaftlichen Kontroverse 
und könnte es vielleicht wieder einmal werden. Zur Vermeidung von 
Mißverständnissen und unnützer Polemik scheint es mir deshalb geboten, 
hier noch einige erläuternde Bemerkungen nachzutragen: 
1. Den allzu vieldeutigen Begriff: „Soziologische Auffassung“ ge 
brauche ich einzig und allein in dem oben angegebenen Sinne: im Sinne 
der Auffassung des Subjektes der jüdischen Geschichte als eines leben 
digen nationalen Organismus. Diese Auffassung darf mit der soziologi 
schen Methode nicht verwechselt werden. Der bekannte Soziologe Max 
Weber wandte diese Methode vor kurzem auf das antike Judentum an 
(Das antike Judentum, 1923), und dennoch hinderte sie ihn nicht daran, 
die jüdische Geschichte im theologischen oder metaphysischen Geiste auf 
zufassen (seine Grundvorstellung von dem Judentum als einem „Paria 
volk“, seine Ansicht über die „Sekte“ der Pharisäer u. dgl.). Ich könnte 
der Begriffsverwechslung vielleicht dadurch Vorbeugen, daß ich zur 
Kennzeichnung meiner Ansicht den Terminus „nationale Auffassung“ 
wählte, aber auch in diesem Falle müßte ich noch hinzufügen: 
national ausschließlich im Sinne der Anerkennung eines nationalen 
Subjektes der Geschichte, nicht aber im Sinne einer subjektiven, natio 
nalistischen Bewertung aller Geschichtserscheinungen, was ja in jeder 
Hinsicht tendenziös wäre. Es ist durchaus möglich, als Träger oder 
aktives Subjekt der jüdischen Geschichte das ewig lebendige Volk anzu 
erkennen und dabei doch alle extrem nationalistischen Auswüchse in der 
Entwicklung dieses Volkes rückhaltlos zu verurteilen oder sie höchstens 
durch den Tatbestand der Notwehr zu rechtfertigen. 
2. Indem ich oben die Einseitigkeit der allgemeinen Auffassung der 
Mehrzahl unserer Geschichtsschreiber hervorhob, hatte ich damit nicht 
die Absicht, das Vorhandensein vieler soziologischer Elemente in ihren 
Werken in Abrede zu stellen. Es handelt sich hier nicht um den tat 
sächlichen Inhalt, sondern um die allgemeine Geschichtsansicht. Von 
XXX 
: ■ • ‘ 
Einleitung 
dem sie zugleich der dunklen Abgründe des Mittelalters wie der 
Folgen einer Ideenverwirrung, die die jüngste Vergangenheit zeitigte, 
gewahr werden konnten. Der Geschichtsschreiber stützt sich heute 
auf das Werk seiner Vorgänger und vermag daher weiter in die 
Fernen der Geschichte zu schauen, als sie es vermocht hatten, wobei 
er seinerseits ebenso wie sie von seinen Nachfolgern über troffen 
werden wird, vorausgesetzt, daß unserer Geschichtswissenschaft ein 
normaler Entwicklungsgang beschieden sein wird.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.