Volltext: Julius Schulte und seine Schüler

dieses Thema. Dabei war er in der Art der Kritik zuweilen recht drastisch und humorvoll. Dadurch 
wurde sein Verhältnis zu den Hörern ein ungemein kameradschaftliches, ohne auch nur das Ge¬ 
ringste an Respekt einzubüßen. Ein völlig offener Meinungsaustausch kam zwischen Lehrer und 
Schüler zustande, der sie einander verbunden machte. 
Bekannt und sprichwörtlich war Schultes Gabe, fesselnd und geistreich zu erzählen. Wenn 
er bei Laune war, konnte er oft stundenlang im Atelier auf- und abgehen und interessante Epi¬ 
soden aus seinem Leben erzählen. An solchen Tagen kam freilich die Arbeit zu kurz, aber das 
wurde dann stets wieder reichlich eingeholt. Mitunter konnte er auch recht ungehalten werden, 
wenn er merkte, daß man, in eine dringende Arbeit vertieft, seiner Erzählung nicht recht folgte. Wenn es 
galt, irgend ein Detail richtig zu lösen, konnte er oft von ungewöhnlicher Hartnäckigkeit sein. Da 
war zum Beispiel ein ¡onisches Kapitäl in moderner Auffassung zu zeichnen. An der Kurve der 
Volute wurde vier Tage lang gezeichnet, bis endlich am fünften Tage die richtige Form gefunden 
wurde, das Endergebnis von gut 100 Versuchen. 
Schulte hatte eine ganz eigene Arbeitsmethode. Er konnte nicht arbeiten wie ein Beamter, 
alle Tage seine wohlgemessenen acht Stunden — da wäre nichts Richtiges herausgekommen. Oft 
saß er im Kreise seiner Kinder, spielte mit ihnen, da — plötzlich fiel ihm die Lösung eines Details 
ein. Da mußte nun das nächstbeste Blatt Papier herhalten, ob dies nun ein Schulheft war oder ein 
leeres Zeitungsblatt, das war ganz gleich. Auch im Schreibmaterial war er dabei nicht wählerisch. 
Feder, Farbstift, Bleistift, ¡a sogar den sonst verpönten Tintenstift verwendete er hiebei. Einmal war 
er ganz verzweifelt, weil eines der Kinder die Schiefertafel zerschlagen hatte, auf der er eben 
eine Idee festgehalten hatte. 
War ein Wettbewerb ausgeschrieben, so las er die Bedingungen flüchtig durch und legte 
sie vorerst beiseite. Nach ein paar Tagen kam er dann mit einer kleinen Skizze ins Atelier, worin 
in wenigen Strichen die Idee festgelegt war. Dann fragte er wieder tagelang nicht danach, in¬ 
dessen einer seiner Mitarbeiter die Skizze durcharbeitete. Gefiel ihm dann die Sache, so begann 
ihn der Wettbewerb zu interessieren, wenn nicht, so ließ er ihn stehen. Der Ablieferungstermin kam 
immer näher, bis sich eines Tages endlich die Lösung ergab. Da erst begann er richtig zu arbeiten. 
Tag und Nacht saß er dann über dem Projekt, und nun zeigte sich, was er seit Tagen und Wochen 
in sich getragen hatte, bis endlich, in erstaunlich kurzer Zeit, die Perspektiven fertig waren. Dabei 
kam es oft vor, daß Schulte eine fast fertige Zeichnung verwarf, da sie ihm nicht so gelungen schien, 
wie die Skizze. Um diese Perspektiven ist es etwas Eigenes. Beim näheren Betrachten wirken sie 
ungenau, ¡a flüchtig und unklar, doch wenn man die Gesamtwirkung überprüft, zeigt es sich, daß 
sie einen geradezu plastischen Eindruck machen und daß alles Wesentliche knapp und präzise her¬ 
ausgearbeitet ist. 
Zum Schluß seien die Worte angefügt, welche ein bekannter Kunstkritiker ihm in einem Nach¬ 
ruf widmete: 
„Mit ihm hat die österreichische Architektur einen Mann verloren, der, im trefflichen Sinn des 
Wortes, die Kraft der Provinz verkörpert hat. In Oberösterreich geboren, ist er stets ein treuer Sohn 
seiner Heimat geblieben. Sein Bauwerk, fast durchwegs an Orten der Alpenländer aufgeführt, be¬ 
wahrte bodenständigen Charakter: die eindeutig geschlossene Anlage, den breiten, stämmigen 
Wuchs, das volle, körperhafte Gewicht und eine immer zweckmäßige und solide Tüchtigkeit. Aber 
zu diesen grundlegenden, verläßlichen Eigenschaften trat hier auch ein offener Blick und ein bereiter 
Wille für die moderne Formenentwicklung. Der charaktervolle und im Wesen unverrückbare Stand¬ 
punkt Schultes verhinderte, daß er sich der neuen Formensprache um jeden Preis, auch um den der 
Selbstbehauptung, in die Arme geworfen hätte. Er hat sie nicht mitgemacht wie eine modische 
Manier, sondern nach dem Maß seines bedächtig wägenden, dann aber schlüssigen Naturells. Eben 
deshalb wurde, was er gebaut hat, kein fragwürdiges Kompromiß und noch weniger ein fanatischer 
Provinzialismus, sondern eine Leistung von volkstümlicher Modernität. Das heißt: 
Was bei anderen heterogen erscheint — das Volkstümliche und das Moderne — bei ihm kam es 
gesund und gut zusammen. In diesem Sinne ist er ein wichtiger Kulturträger der neuen Bauweise 
geworden/7 
XII
	        
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