Volltext: Matosch-Gedenkbuch [20]

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genug nachschreiben kann. Jeder besteht streng auf seinem Wortlaut und 
Rhythmus, und da sie mir in ihrem Uebereifer oft drei und vier, ja selbst 
mehr noch zugleich vorsingen, mache ich tatsächlich oft Fehler und vergeht 
dann wieder einige Zeit mit dem Korrigieren. (Folgt nun das eingehende 
Konzept zur spätern „Singschule im Walde".) 
Weihnachten 1884. Von 9 bis 1 / 2 3 Uhr in der Bibliothek, dann 
Lektionen von 5 bis 8 Uhr — ermüdet. Mehr als die Befreiung von den 
Existenzsorgen, die ja bald erreicht sein wird, um vieles mehr noch tut 
meinem innersten Wesen jene Durchleuchtung und Erwärmung not, die dem 
belebenden Zauber des Frühlings gleich Wunder wirkt und die aus lieben 
Augen kommt, in denen sich ein Herz spiegelt, das uns liebt. Es gibt keinen 
Quell, aus dem die Dichtung reichlicher und in reinerem Kristalle strömte 
als Herzensneigung, die, auf einen würdigen Gegenstand gerichtet, warm 
erwidert wird. Wolle Gott, daß mir solches Glück beschieden werde. Der 
jahrelange Winter in meinem Herzen hat mich fast unfruchtbar gemacht 
und es ist hohe Zeit, daß endlich Frühlingstage kommen. 
„Ein Herz, ein Weib, ein Heim, 
Dann jauchzen wieder Vers und Reim, 
Und aufblühn mag noch mancher Keim. 
Ich fühle mich stark und gesund und vertrau' meinem Sterne. Was 
fehlt, wird kommen, muß kommen; es geht freilich schon stark in die Jahre, 
aber so Gott will, mit stillem, stetigem Wachstum im Kerne." 
1. Dezember 1886. Stehe nun schon zwei Jahre im Dienste der 
Universitäts-Bibliothek ohne jedes Entgelt. Selbst die versprochene Remu 
neration ist wieder zu Wasser geworden mangels Mitteln. Dabei soll ich 
Großes schaffen; wo mir die Sorge selbst den Atem verlegt, Schatten der 
Geschichte Leben einblasen! Der Abend für die Fadinger-Dichtung muß 
aber sorgenfrei sein; sie ist des Opfers wert, das ich mir von Euch erbitte. 
Seit drei Wochen laborierend an diesem Briefe — Gott, bewahre Dich und 
die Deinen vor — 
Ich weiß wohl, daß ich verdiente Strafe leide für das Versäumnis 
früherer Jahre; aber nun wäre es wirklich schon genug; ich habe redlich 
gebüßt und verdiente Erlösung. Wie viel moralische Schuld liegt aufgehäuft, 
die ich leisten soll; Schöpfungen, die werden müssen, wenn anders mein 
Leben nicht umsonst gelebt sein soll. Ich muß dazu kommen; der Gedanke 
hält mich aufrecht; ich muß die Tage der Rot überdauern, damit ich meine 
Pflicht der geliebten Heimat gegenüber erfüllen kann. „Der Rüdiger von 
Pöchlarn" muß geschrieben werden als ein Denkmal des deutsch-österreichi 
schen Stammes, der seiner angeborenen Herrlichkeit bewußt werden muß. 
Ich kenne keine Gestalt, die würdiger wäre poetischer Verherrlichung, als 
die Rüdigers. Aus dem Ganzen gegossen, müßte diese ebenso starke wie 
milde Mannesgestalt aus dem schönen Lande an'der Donau aufragen, 
allem deutschen Volke zu Ehren und zur Freude und unserm Stamme zum 
besonderen Stolze. Der Bann, der auf der Donau liegt, eine Dichtung 
über Rüdiger könnte ihn brechen, müßte ihn brechen; die nationale Idee 
kann auf keinem kürzeren und sicheren Wege ins Herz des Volkes gebracht 
werden, als durch nationale Dichtung. Das Land an der Donau muß 
widerhallen von deutschen Taten, die so reich vorliegen; und bevor nicht 
deutsche Poesie davon Besitz ergriffen, ist an ein volles Erwachen des natio-
	        
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