Volltext: Hegels Leben, Werke und Lehre. [8. Band. Erster Theil] (8,1 / 1901)

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Hegel als Hauslehrer in Bern. 
II. Hegels Fortbildung in der Schweiz. 
1, Sprache, Sitten und Politik. 
Es war ein vierfacher Nutzen, welchen Hegel von seinem Aufenthalt 
in der Schweiz geerntet hat, ganz abgesehen von den Förderungen, 
welche jedem Erzieher und Lehrer seine redliche Pflichterfüllung einträgt; 
denn alle Erziehung enthält einen Reichthum von Erfahrung und alles 
Lehren eine Fülle des Lernens. In dem Hause, worin er lebte, wurde 
ihm die tägliche Gelegenheit, sich im Gebrauch der französischen Sprache 
zu üben, die Sitten und Ansichten berner Patricier zu erfahren, den 
Charakter und die Einrichtungen einer aristokratisch-oligarchischen Ver 
fassung in nächster Nähe kennen zu lernen, was ihn politisch höchlich 
interessirt und bewogen hat, selbst über die finanzielle Verwaltung des 
alten Bern sehr genaue Studien und Aufzeichnungen zu machen; er 
hat endlich einige der schönsten und großartigsten Gegenden der Schweiz 
zu sehen und zu durchwandern Gelegenheit gefunden. 
Die Herrschaft der conservativen Anschauungen, wie sie in dem 
Steigerschen Hause und dem berner Patriciat herkömmlich waren, 
bildeten ein sehr solides Gegengewicht gegen den revolutionären Jdeen- 
rausch, welchen Hegel aus dem tübinger Club mitgebracht hatte. Mit 
dem Sturze Robespierres am 9. Thermidor 1794 war der Anfang zu 
einer wohlthätigen reactionären Bewegung eingetreten, die dem Terroris 
mus zuwiderlief und dazu führte, daß einer seiner verruchtesten An 
hänger, I. B. Carrier, durch seine Blutthaten in Nantes als eines 
der Monstra der Revolution bekannt, am 16. December 1794 ent 
hauptet wurde. Bald nachher, in dem ersten seiner schweizer Briefe 
an Schelling, gedenkt Hegel dieser Begebenheit mit befriedigter Stimmung: 
„Daß Carrier guillotinirt ist, werdet ihr wissen. Leset ihr noch fran 
zösische Papiere? Wenn ich mich recht erinnere, hat man mir gesagt, 
sie seien in Wirtemberg verboten. Dieser Proceß ist sehr wichtig und 
hat die ganze Schändlichkeit der Robespierroten enthüllt/" 
Nun sollten zu Ostern die Ergänzungswahlen in den großen Rath 
stattfinden. Da die gnädigen Herrn zu wählen hatten, so wurden 
ihre Töchtermänner bevorzugt und ihre Töchter deshalb sehr gesucht. 
Dieses ganze zur Charakteristik des oligarchischen Wesens höchst lehr 
reiche Getriebe hat Hegel recht in der Nähe zu sehen bekommen. Er 
1 Der Brief ist datirt: „Bern am heiligen Abend vor Weihnachten, 24. De 
cember 1794". Karl Hegel: Briefe von und an Hegel. Th. I. S. 6—9.
	        
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