Stimmung im Heere. Vaterländischer Unterricht
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So war die Kampfkraft abermals erheblich gesunken. Die seit Mitte April eemm« mi.
durchgeführte Herabsetzung der Brotration*) — nur die im Kampfe stehen¬
den oder gerade aus dem Kampfe zurückkehrenden Truppen erhielten noch
die früheren Verpflegungsmengen — wurde schwer empfunden. Sie
hatte zwar nach Meldung des Chefs des Feldsanitätswesens den Gesund¬
heitszustand einstweilen nicht beeinträchtigt, es hatte aber eingehender
Aufklärung bedurft, um die Stimmung der Truppe nicht zu gefährden.
Auch lange Trennung von Heimat und Angehörigen, eng begrenzte Ur¬
laubsmöglichkeiten, vielfach ungünstig wirkende Nachrichten aus der Hei¬
mat und planmäßige Wühlarbeit der Unabhängigen Sozialdemokratie2)
wirkten auf sie ein. Dabei spürte jedermann, daß das vom Unterseekrieg
erwartete Ende des blutigen Ringens vorläufig noch nicht abzusehen sei.
Die Meutereien aus mehreren Großkampsschifsen der Hochseeflotte
im Juli waren eine deutliche Warnung. Es wurden Klagen laut über un¬
günstige Stimmungsbeeinslussung zwischen Urlaubern und Heimatbevöl¬
kerung. Die Oberste Heeresleitung mußte Weisung geben, zu verhindern,
daß Nachrichten in die Truppe kamen, die für ihre Siegeszuversicht und
Schlagsertigkeit bedrohlich sein könnten. General von Gallwitz hielt all¬
gemeine Kontrolle des Lesestoffes im Heer und ein durchgreifendes Verbot
sozialdemokratischer Zeitungen für notwendig3). Durch Einführung
„Vaterländischen Unterrichts" für alle Truppenteile im Felde wie
in der Heimat suchte die Oberste Heeresleitung dem Sinken der Stimmung
entgegenzuwirken. Die Maßnahme wurde durch folgende Leitsätze vom
29, Juli eingeleitet:
»Das deutsche Heer ist durch den Geist, der es beseelt, seinen Feinden
überlegen und seinen Verbündeten ein starker Rückhalt.
Zu Beginn des Krieges war die Grundlage dafür Begeisterung und in
langer Friedensausbildung anerzogene Manneszucht. Die drei Kriegs¬
jahre haben diese Grundlage verschoben und erweitert. Verständliche
Sehnsucht nach Heimat, Familie und Berus kann die Kampfentschlos¬
senheit lähmen und den Willen, bis zum endgültigen Sieg durch¬
zuhalten, abschleifen.
Die Länge des Krieges brachte auch in zunehmendem Maße für Heimat
und Heer Entbehrungen und Opfer. Je mehr diese Lasten aus den Geist
des Heeres drücken, um so mehr müssen Aberzeugung, Pflicht¬
gefühl und klare Entschlossenheit Grundlage der Kampfkraft
des Heeres werden."
') Bd. XII, 6. 571.
2) Bd. XI, 6.35.
3) v. Gallwitz: „Erleben im Westen", 6.208 u. 213.