Betrachtungen zu den Operationen in der Ebene.
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General von Krasft hat den Plan des Generals von Hosacker ab¬
gelehnt, General von Below hat ihn ernstlich gar nicht erwogen. Beide
dachten in erster Linie an die Fortführung der Operation im großen über
den Tagliamento. Da die Lufterkundung durch Wetter, Gebirge und
sonstige Schwierigkeiten stark behindert war, wurde zu spät erkannt, wie
große italienische Massen noch östlich des Flusses standen1). Der eigene
Stromübergang aber mußte, auch im günstigsten Falle, das heißt, wenn
man sofort die eine oder andere Brücke unzerstört in die Hand bekam, mehr
Zeit in Anspruch nehmen als der des Gegners, der planmäßig über zahl¬
reiche Brücken zugleich zurückmarschierte. Den in der Verfolgung gewon¬
nenen Dorsprung jenseits des Flusses auch nur auftechtzuerhalten,
bestand keine Aussicht. Als es dann gar noch Tage dauerte, bis die ersten
Teile der Armee das Westuser des Tagliamento erreichten, war klar, daß
man eine Gelegenheit versäumt hatte. Der für den 30. Oktober angesetzte
Angriff, nicht mit dem rechten Flügel scharf am Fluß entlang nach Süden,
sondern von Nordost gegen Südwest, hatte die Wirkung des vom General
von Hofacker vorbereiteten Vorgehens nicht ersetzen können. Die aus ihm
sich ergebenden Marschkreuzungen mit Teilen der Isonzo-Armeen und die
daraus entstandenen Reibungen mit österreichisch-ungarischen Kommando¬
stellen haben das frontale Nachdrängen wohl in Unordnung gebracht, aber
nicht ausgehalten, sind also auf das Ergebnis der Operationen nicht von
entscheidendem Einfluß gewesen.
Diese Reibungen wären sicherlich leichter auszugleichen gewesen,
wenn die Verbindung zu den österreichisch-ungarischen höheren Kommando¬
stellen gewahrt geblieben, diese also ftühzeitiger nach vorn verlegt worden
wären. Daß damit ihre Verbindung nach rückwärts abriß, war kaum zu
befürchten. Beim Oberkommando 14 war solcher mißliche Zustand die
Folge der besonders ungünstigen Verhältnisse unmittelbar hinter der Front:
Verkehrsengpaß von St. Luzia und zunächst nur eine einzige, stellenweise
ernstlich beschädigte Nachschubstraße durchs Gebirge für mehr als zehn
Divisionen. Taktisch befand sich das Armee-Oberkommando in Cividale
und Udine rechtzeitig an der richtigen Stelle, operativ brachte der Platz
aber bereits ernste Nachteile, denn es fehlte nicht nur die Verbindung nach
rückwärts und zu den Nachbar-Armeen, sondern, was wichtiger war, auch
zu dem ganzen Nordflügel (Gruppen Krauß und Stein) der eigenen Armee.
Und doch wird man den Drang des Armee-Oberkommandos nach vorne
nicht nur als berechtigt, sondern als vorbildlich anerkennen müssen.
L) Tatsächlich hatte die Luftaufklärung vor der Heeresgruppe Boroevie am 29. Oktober
ein durchaus zutreffendes Bild der Lage vor den beiden gsonzo-Armeen ergeben. Dem
A. O.K. 14 ist davon aber nichts bekannt geworden.
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