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Der Krieg im Osten. Gegenoffensive in Ostgalizien.
die Stoßkraft des Verfolgers nicht mehr ausreichte. Auch die deutscherseits
fast ununterbrochen fortgesetzte Frontpropaganda konnte nicht helfen.
Inwieweit sie dazu beigetragen hat, die früheren Erfolge vorzubereiten,
steht dahin.
4. Betrachtungen.
Die Hoffnung, wesentliche Teile der Russen durch Aufrollen der Front
nach Süden abzufangen, hatte sich nicht verwirklicht, da der Gegner
rechtzeitig auswich. Bei der Verfolgung nach Osten aber machten sich als¬
bald die vom Oberbefehlshaber Ost befürchteten Schwierigkeiten geltend.
Rur weil der Gegner im wesentlichen kampflos zurückging und damit der
eigene Munitionsverbrauch gering blieb, konnte die als Ziel gesetzte russische
Grenze erreicht werden. Als der Gegner hier Halt machte, hätte die
Offensive nur nach einer zur Regelung des Nachschubes, vor allem Heran¬
führung ausreichender Munition, nötigen längeren Pause wieder auf¬
genommen werden können. Trotz der seit dem Sommer 1915 stark ver¬
minderten Widerstandskraft der Russen hatten sich die Erfahrungen von
damals wiederholt.
Und doch war, vor allem dank der weiten Zielsetzung der Obersten
Kriegsleitung, erreicht, daß die russische Front aus rund 200 Kilometer
Breite und bis zu 120 Kilometer Tiefe zurückgeworfen war. Bis auf
geringe Reste, vor allem nördlich von Tarnopol, waren Ostgalizien und
die Bukowina und damit Österreich-Ungarn überhaupt vom Feinde be¬
freit. Zu der erhofften Vernichtung größerer russischer Heeresteile war es
aber trotz vorbildlichen Ansatzes der Operation und glänzender Anfangs¬
erfolge nicht gekommen. Es war ein „ordinärer Sieg" geblieben, denn der
Gegner, der sich seiner unzulänglichen Kampfkraft bewußt war, hatte die
Gefahr frühzeitig erkannt und danach gehandelt. Die Gesamtbeute von
257 Geschützen bei nur 42000 Gefangenen*) zeigt deutlich, daß die Masse
der russischen Truppen nicht mehr kämpfen wollte, sondern unter Preis¬
gabe ihrer Waffen davongelaufen war. Die Teile aber, die sich zum
Schutze des heimatlichen Bodens an der Grenze wieder setzten, reichten
aus, die Offensive zum Stehen zu bringen.
Der nach der Einnahme von Czernowitz im Zusammenhang mit den
Angrifssabsichten bei der Heeresgruppe Mackensen von der Obersten
Heeresleitung verfolgte und von der österreichisch-ungarischen Heeresleitung,
wie der Heeresfront Erzherzog Josef freudigst aufgegriffene Gedanke, die
Operation in die Moldau fortzusetzen, muhte bei der völlig unzureichenden
1) Die russischen Gesamtverluste sind nicht bekannt. Auch für die deutschen und
österreichisch-ungarischen Verluste haben sich keine brauchbaren Zahlen ermitteln lassen.