Volltext: Lemberg 1914

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Die Grundprobleme des Krieges. 
Die Trennung während des Anmarsches zu einer Schlacht hat auch 
dann, wenn sie nur geringfügig ist, eine gewisse Widerstandskraft der ein¬ 
zelnen Teile zur Voraussetzung, damit nicht die Gefahr entsteht, daß die 
Teile einzeln überrannt werden. Schon am Anfange des 18. Jahrhunderts 
war die Widerstandskraft des Feuers annähernd ebenso groß, und daher 
haben sich schon unter Prinz Eugen gewisse Ansätze zu einer Lockerung und 
zu stärkerer Anwendung des Schützengefechtes gezeigt. Dies war aber mehr 
von einem genial-praktischen Sinn als von grundsätzlichen Erwägungen 
diktiert. Unverändert, wie von altersher, wurde der Stoß als das große 
Mittel des Kampfes angesehen und angewendet. An dem großen Grund- 
prinzipe rührte niemand, weder Prinz Eugen noch Friedrich der Große 
hätten jemals gewagt, durch ein Aufgeben der Geschlossenheit die Stoßkraft 
ihrer Heere in Frage zu stellen. Nur die gänzliche Unmöglichkeit, nach der 
Revolution wieder zu früheren Formen zurückzukehren, hatte diese Ände¬ 
rung im französischen Heere vermocht und von dort aus übertrug sich dann 
manches auf die anderen Heere. Man sieht, um wieviel stärker die Bedin¬ 
gungen sein müssen, aus denen heraus sich die großen Formen bilden, als 
der menschliche Geist selbst in seinen stärksten Potenzen jemals sein kann. 
Die größere Rücksichtslosigkeit, welche die französische Revolution in 
allen Belangen hervorbrachte, vermochte auch die Grundsätze über die Er¬ 
haltung der Heere im Felde durchgehende zu ändern, der Krieg begann 
wieder vom Lande zu leben. Die Ausnützung der Hilfsquellen der von den 
Divisionen durchzogenen Gebiete ermöglichte eine andauernde Raschheit der 
Bewegung. Wenn früher die kleinen Heere umeinander herummanövrierten, 
um ausnahmsweise, wenn es beiden Teilen günstig schien, eine Schlacht zu 
schlagen, waren jetzt die an Zahl weit größeren Heere nicht mehr durch 
Magazine und Festungen beeinflußt, sondern in ihren Bewegungen freier 
und unabhängiger. 
Die Heereseinrichtungen wurden ganz auf Beweglichkeit eingestellt, auf 
Bewegungsfreiheit im Marsch, auf eine rasche Annahme der Kampfgliede¬ 
rung, unabhängig vom Terrain, und überdies war auch Freiheit für beliebige 
Massierung der Kräfte auf den geeignetsten Punkten der Schlachtfelder ge¬ 
geben. Der kühne Feuergeist des Generals Bonaparte fügte daran noch das 
Letzte, aber auch Höchste und Schwerste: Die Kraftvereinigung und den 
Stoß. 
Die Änderungen, die der Krieg allmählich hervorrief, gingen wohl 
auch nicht an den anderen Heeren spurlos vorüber. Aber hier war die 
Wandlung schwieriger durchzusetzen, denn an den Formen und Gewohn¬ 
heiten der Heere hängt immer mit Zentnergewichten die Tradition, ein 
kostbares Gut, weil sich an ihr die moralischen Kräfte emporranken. Da¬ 
mals war dies besonders der Fall, denn die Richtung des militärischen Den¬ 
kens war bis dahin auf größte Geschlossenheit eingestellt und hatte die 
Formen selbst bis zur Starrheit entwickelt. Die neue Richtung, welche eine 
Lockerung der Formen herbeiführen mußte, trat damit in schärfsten Gegen¬ 
satz und rief große Widerstände hervor.
	        
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