Volltext: Lemberg 1914

Krieg- und Schlachtenführung. 
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Flügel überlegen zu treffen vermochte, hat jemals die Entscheidung in der 
Front gesucht. Deshalb haben sich auch im Kampfe seit jeher immer wieder 
Versuche zur Umfassung gezeigt. Manchmal sind sie gelungen, zumeist 
haben sich diese Bestrebungen gegenseitig aufgehoben. 
Immer und ewig bestand der Wunsch, breiter zu sein als der Feind. 
Aber Breitenausdehnung und Tiefengliederung sind Forderungen, die ein¬ 
ander entgegenstehen. Die Tiefe ist für den Stoß die Hauptsache, auch für 
die Abwehr des Stoßes, sie kann daher nicht groß genug sein. Die Breiten¬ 
ausdehnung entsteht in Wechselwirkung mit jener des Feindes, die eigene 
Front darf nicht schmäler sein, um nicht umfaßt zu werden; sie kann aber 
auch nicht wesentlich breiter werden, wenn nicht eine ausgesprochene Über¬ 
legenheit in der Zahl der Kämpfer besteht, weil sonst die Kraft des Stoßes 
sinkt. Kleine Kampffronten bieten alle Chancen zur Umfassung und den¬ 
noch ist es unvermeidlich, die Kräfte zusammenzuhalten. Daher kommt es, 
daß bei zunehmenden Streiterzahlen die Entwicklung der Schlachtenformen 
eher in die Tiefe geht als in die Breite. 
Von der einfachen Zusammenballung der Kräfte bis zum Auftreten 
eng geschlossener Massen im Kampf ist ein großer und entscheidender 
Schritt. Die Geschlossenheit wird von strengster Ordnung abhängig, weil 
sonst die Beweglichkeit herabsinkt. Die Ordnung wird zum zwingenden 
Gesetz des Krieges. 
Wer mit dem geschlossenen Stoß einen noch unfertigen Feind trifft, ist 
im Vorteile. Raschheit wird zum natürlichen Bestreben jeder Führung, aber 
die Notwendigkeit der Ordnung ist stärker. Durch Jahrhunderte zog es die 
Führung vor, auf ein rasches und überraschendes Eindringen auf den Feind 
zu verzichten, wenn dies nicht in vollkommen geschlossener Ordnung er¬ 
folgen konnte. 
Das stete Streben nach zunehmender Raschheit steigerte allmählich die 
Beweglichkeit der Heere, aber sie hielt sich auch zumeist gegenseitig die 
Waage. So zeigt der Krieg Jahrhunderte 'hindurch das nahezu unveränder¬ 
liche Bild, daß die Heere nahe gegenüber zur Schlacht antreten und erst 
nach Annahme der Schlachtenform zum Stoße vorgehen. 
In seiner Gesamtheit ist die Anwendung des Massenstoßes, welcher als 
das stärkere Mittel erscheint, begrenzt. An Beweglichkeit können die Mas¬ 
sen erst allmählich gewinnen; aber selbst wenn diese bereits wesentlich ge¬ 
steigert ist, bleibt die Durchführbarkeit des Stoßes noch von hindernislosen 
Schlachtfeldern abhängig, und diese müssen gesucht werden. Auch ist der 
Schutz der Flügel nötig, und den Vorteil hat derjenige, dem es gelingt, den 
Kampf in vorbereiteten Stellungen mit Flügelanlehnung und günstigen Ver¬ 
hältnissen für den Stoß abzuwarten. Während die Kampfform unter allen 
Umständen lediglich auf den offensiven Stoß ausgeht, erhält die gesamte 
Kriegführung damit eine mehr defensive Tendenz. 
Aus natürlichen Voraussetzungen, welche die Verwertung der stärkeren 
Form mit sich bringt, wachsen von selbst die Bedingungen, unter denen 
Schlachten geschlagen werden. Zwischen dem Wunsche nach breiten Fronten
	        
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