Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

§ 37. Der Autonomismus als Schlüssel zum Diasporaprohlem 
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lung des Judentums, dessen ureigenste Schöpfungen uns in den ver 
schiedensten sprachlichen Formen überliefert sind, wie dies durch 
die griechisch geschriebenen Apokryphen nicht minder bekräftigt 
wird als durch den aramäisch abgefaßten Talmud oder die arabischen 
Werke der jüdischen Philosophen des Mittelalters, von der neuzeit 
lichen „Wissenschaft des Judentums“ ganz zu schweigen. 
In der Zeit des an die Epoche eines Sabbatai Zewi gemahnenden, 
messianischen Rausches war die warnende Stimme des nüchternen 
Denkers, der gleich einem Sasportas oder Emden unermüdlich gegen 
die Utopisten kämpfte, die das Volk an ihre Phantasien glauben mach 
ten und es so dem Schrecken eines jähen Erwachens aussetzten, von 
nicht hoch genug zu veranschlagender Bedeutung. Am heilsamsten 
war der Einfluß Achad Haams in Rußland, wo die unter den Verfol 
gungen und der Entrechtung stöhnenden Juden für politische Wunsch 
träume besonders empfänglich waren. Er war es, der sie darüber auf- 
ldärte, daß die nationale Wiedergeburt nicht durch eine große Wil 
lensanstrengung von heute auf morgen herbeigeführt werden könne, 
daß sie vielmehr als ein langwieriger Prozeß aufzufassen sei, in dem 
die zentripetalen Kräfte erst nach und nach das Übergewicht über die 
zentrifugalen gewinnen würden. Seine Lehren führten zur Vertiefung 
des nationalen Selbstbewußtseins, das der politische Zionismus durch 
den Pomp der Kongresse und durch seine diplomatischen Kombi 
nationen eher getrübt als geklärt hatte. Indessen hatte Achad Haam 
dieses Bewußtsein nur nach einer einzigen Richtung hin vertieft, ohne 
den Versuch zu machen, ihm jene weltumspannende Weite zu geben, 
die für die nationale Evolution des Judentums von der Geschichte 
selbst vorausbestimmt ist. 
§ 37. Der Autonomismus als Schlüssel zum Diasporaproblem. 
Das Prinzip der nationalen Minderheiten 
Nicht anders als der politische ging auch der geistige Zionismus 
von dem Prinzip der „Verneinung des Galuth“, d. h. von der Über 
zeugung aus, daß die Judenheit im „Galuth“, in der Diaspora, sich 
als einheitliche Nation nicht zu entwickeln vermöge, weshalb es not 
tue, das Zentrum der Weltjudenheit aus der Diaspora nach Palästina 
zu verlegen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Richtungen be 
stand lediglich darin, daß dem politischen Zionismus alle Juden,
	        
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