Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

§ 20. Die von Amts wegen geförderte Emigration 
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Scheinvertretern. Man hatte es gleichsam darauf abgesehen, das Prin 
zip der Verhältniswahl auf den Kopf zu stellen: die Mehrheit der 
Steuerzahler in der Kommune war der Verfügungsgewalt der Min 
derheit ausgeliefert, die die städtische Wirtschaft in der Regel ohne 
jegliche Rücksicht auf die Interessen der jüdischen Einwohnerschaft 
zu verwalten pflegte. 
Eine Reihe weiterer damals veröffentlichter Gesetze hatte den 
alleinigen Zweck, die Juden zu erniedrigen und ihnen gleichsam das 
mittelalterliche Abzeichen auf die Stirn zu drücken. So das 1893 er 
gangene Gesetz über die Namen, demzufolge Juden, „die sich an 
dere Namen beilegten als die in die Geburtsregister eingetragenen“, 
strafrechtlich verfolgt werden sollten. Unter den jüdischen Intellek 
tuellen hatte sich nämlich der Rrauch eingebürgert, ihre Vornamen 
durch ähnlich klingende russische Namen zu ersetzen (etwa Wolf 
durch Wladimir, Mirjam durch Maria usw.), und so liefen sie nun 
mehr Gefahr, auf die Anklagebank gebracht zu werden. Unstatthaft 
war es sogar, die in den Geburtsurkunden verstümmelten jüdischen 
Vornamen in ihrer korrekten russischen Form zu führen und sich 
z. R. statt Jankel Jakob zu nennen. Mancherorts stand die Polizei 
nicht an, gegen Juden nur aus dem Grunde Anklage zu erheben, 
weil sie in Zeitungsannoncen, auf Visitenkarten oder Türschildern 
„christliche Namen mißbrauchten“. Zu welch einem Riesenprozeß 
wäre es aber gekommen, hätten die Juden ihrerseits die Christen 
wegen des Gebrauches alttestamentlicher Namen verklagen wollen! 
Die neue Paßordnung von 1894 bestimmte, daß in den Pässen der 
Juden stets deren Signalement angegeben werde, auch wenn der Paß 
inhaber sich durch seine Unterschrift legitimieren konnte, während 
diese Vorschrift für Christen nur in dem Falle galt, wenn sie An 
alphabeten waren. Hierdurch war die Glaubwürdigkeit der Juden von 
vornherein mit einem Makel behaftet. Darüber hinaus führten die 
Polizeibehörden an vielen Orten auch noch ein Sonderzeichen für 
die Pässe der Juden ein, indem sie deren Glaubensbekenntnis mit 
roter Tinte vermerkten. Selbst den ausnahmsweise Erleichterung brin 
genden Gesetzen dieser Zeit verlieh die Regierung eine feindselige 
Tendenz, wie dies in der die Chedarim betreffenden Verordnung von 
1893 zum Ausdruck kam, die zwar der Verfolgung der traditionellen 
jüdischen Volksschule ein Ende machte, zugleich aber aus deren Lehr 
plan die Fächer der allgemeinen Rildung ausschloß. Die Folge war,
	        
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