Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

§ 18. Die russischen Fronvögte und der englische Protest 
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persönlich der Meinung der Minderheit der Pahlenschen Kommission 
angeschlossen habe. Nach einer anderen Version sollen die Kom 
missionsbeschlüsse zum Gegenstand einer Aussprache im Staatsrat ge 
macht worden sein, wobei die Gegner der angeregten Reformen auch 
hier in der Minderheit geblieben wären, doch hätte die Stimme des 
Zaren dieser Minderheit das Übergewicht verliehen. Wie dem auch 
sein mag, jedenfalls wurde der der Regierungspolitik zuwiderlaufende 
Gesetzentwurf von der Tagesordnung abgesetzt und das Ergebnis 
fünfjähriger Arbeit in den Kanzleiarchiven begraben. 
§ 18. Die russischen Fronvögle und der englische Protest (1890) 
Das letzte Jahrzehnt des XIX. Jahrhunderts brach für die russi 
schen Juden unter bedrohlichen Vorzeichen an. Nachdem Alex 
ander III. und seine Familie hei der Eisenbahnkatastrophe vom 
17. Oktober 1888 der Gefahr glücklich entronnen waren, gewann 
die politische Reaktion in Rußland vollends Oberwasser. Pobjedo- 
nosszew und Konsorten hatten es verstanden, den glücklichen Zufall 
mit einer Wolke kirchlicher Mystik zu umhüllen, und so setzte sich 
im Geiste des Zaren die Überzeugung fest, daß Gott selbst ihn durch 
seine „wunderbare Errettung“ an seine Pflicht gemahnt habe, Ruß 
land von der ihm drohenden Gefahr der Reformen zu retten und es 
auf den Weg der altüberkommenen Frömmigkeit zurückzuführen. 
Dies war der Nährboden für die in den letzten Regierungsjahren 
Alexanders III. gedeihenden Gegenreformen: die Schmälerung der 
ländlichen und städtischen Selbstverwaltung, die Festigung der Vor 
machtstellung des Adels und der Geistlichkeit sowie die Begünstigung 
der kirchlichen Volksschule auf Kosten der weltlichen. Auf demsel 
ben Boden entfaltete sich aber auch aufs üppigste der Judenhaß, der 
nunmehr gerade in den höchsten Regierungskreisen eine unheimlich 
düstere Färbung erhielt. Ein um jene Zeit in Rußland weilender eng 
lischer Journalist wußte zu berichten, daß der Zar im Jahre 1890 
die ihm von einem hohen Würdenträger überreichte Denkschrift über 
die unerträgliche Lage der Juden mit der echt mittelalterlich an 
mutenden Randbemerkung versehen hätte: „Wir dürfen aber nie ver 
gessen, daß die Juden unseren Heiland gekreuzigt und sein kost 
bares Blut vergossen haben“. Das fanatisch-reaktionäre Innenmini 
sterium, an dessen Spitze seit 1889, nach dem Tode Tolstojs, Dur-
	        
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