Volltext: Die neueste Geschichte des jüdischen Volkes (10, Die Neueste Geschichte / 1929)

Der Antisemitismus in Österreich-JJngarn 
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rieht von Pisek verwiesen. Die sich vom Oktober bis zum Dezember 
1900 hinziehenden Gerichtsverhandlungen standen aber auch diesmal 
unter der unausgesetzten Einwirkung der antisemitischen Atmosphäre, 
und so wurde gegen Hilsner, ohne Rücksicht darauf, daß der Staats 
anwalt das in den Vordergrund geschobene religiöse Motiv des Ver 
brechens als „albernes Märchen“ abgetan hatte, erneut auf Todes 
strafe erkannt, die nur im Gnadenwege von Kaiser Franz Joseph 
in eine lebenslängliche Zuchthausstrafe umgewandelt wurde (1901). 
Dies war der Tribut, den Böhmen den an der Schwelle des XX. Jahr 
hunderts wiedererstandenen düsteren Schatten des Mittelalters zollen 
mußte. 
In einer Versammlung der von den jüdischen Intellektuellen einige 
Jahre vorher gegründeten „Gesellschaft für tschechisch-jüdische 
Verständigung“ konnte denn auch ihr Mitbegründer Dr. Reiner nicht 
umhin, festzustellen, daß das von der Gesellschaft angestrebte Ideal 
nun gescheitert sei: „Wir sind einsam — rief der reumütige Assi 
milationsfreund aus — da die Brücke, die uns einst mit den jüdischen 
Massen verbunden hatte, längst zerstört ist und auch die Tschechen 
uns den Rücken zukehren. All unsere tschechisch-jüdischen Verbände 
sollten aufgelöst werden. Mehr als zwei Jahrzehnte besteht bereits 
unsere studentische Verbindung, fünf Jahre unsere ,Tschechisch- 
jüdische Verständigung* und vier Jahre der politische Verein*. Was 
haben wir aber mit alledem erreicht? Wo sind die Ergebnisse, die 
wir der Assimilation auf wirtschaftlichem oder sozial-politischem Ge 
biete zu verdanken hätten? Im Bereiche der Wirtschaft haben ja die 
Tschechen das Prinzip verkündet: ,Jeder zu den Seinigen!* („Svuj 
k svemu“) und die Parole ausgegeben: ,Kauft nur bei Christen!* Und 
auch die politische Assimilation hat nur dazu geführt, daß wir als 
Fremdlinge, als Angehörige einer fremden Rasse, einer fremden Na 
tionalität gelten. Mit den Deutschen wollen wir nicht, mit den Tsche 
chen können wir nicht Zusammengehen!“ In diesen bitteren Worten 
kam die ganze Tragik des zwischen den Nationen hin und her pen 
delnden Judentums zum Ausdruck. 
§ 10. Das Auflodern des Antisemitismus in Ungarn und die Affäre 
von Tisza-Eszlar 
Seit 1867 unumschränkte Herren Ungarns, waren die Magyaren 
von dem für diese Zeit so bezeichnenden Drange besessen, sich die
	        
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