Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

Das Wiedererwachen des östlichen Zentrums 
66 
§ 8. Die praktische Kabbala und ihre Auswirkungen in Leben 
und Literatur 
Als „praktische Kabbala“ wird im Gegensatz zu der im XIII. 
Jahrhundert in Spanien erblühten „spekulativen Kabbala“ jene my 
stische Lehre bezeichnet, die sich im XVI. Jahrhundert auf palästi 
nensischem Boden entfaltet hat. In jener gab die Metaphysik, in die 
ser eine eigenartige Psychologie den Ausschlag. Die spekulative Kab 
bala ging auf die Begründung einer dem Rationalismus die Wage 
haltenden mystischen Philosophie aus (Band V, § 18), während die 
praktische Kabbala in die Tiefen des religiösen Gefühlslebens einzu 
dringen suchte, um der religiösen Tat neue Wege zu weisen. Eine 
Mittelstellung zwischen den beiden Systemen nimmt der „Sohar“ ein, 
der zuerst in den engen Konventikeln der Eingeweihten gegen Ende 
des XIII. Jahrhunderts auftauchte, aber erst im XVI. Jahrhundert 
einer endgültigen Bearbeitung unterzogen wurde. Es ist wohl anzu 
nehmen, daß die abschließende Redaktion des „Sohar“, die seiner 
Drucklegung voran ging, das Werk des Moses Cordovero war, in 
dem sich somit der Kommentator mit dem Verfasser vereinigte 1 ). 
In seinem „Pardes“ brachte Cordovero zum ersten Male den 
durcheinandergewürfelten Stoff dieses „geheimen Midrasch“ in sy 
stematische Ordnung, worauf dann die Schule des Ari und des Vital 
die darin aufgespeicherten Gefühlselemente leichter zu verwerten ver 
mochte. 
Das Bewußtsein der Sündhaftigkeit der menschlichen Natur und 
der unwiderstehliche Drang nach Erlösung, die Dämonenlehre, der 
Äsketismus und die messianische Sehnsucht — dies sind die Grund 
elemente der neuen Kabbala. Da der Mensch von seinem göttlichen 
Urquell, von der Welt der reinen Potenzen oder „Sefiroth“ weit ab 
geirrt sei und ganz in dem von den „unreinen Sefiroth“ oder den 
bösen Mächten („Kelippoth“) beherrschten Alltag stecke, so müsse er 
zum Heile seiner Seele diese vor allem von der an ihr haftenden dä 
monischen Kruste säubern, um so ihre Verbindung mit der Gottheit 
wiederherzustellen. Nach dem Tode trete die Seele zwecks ihrer Läu 
terung eine Irrfahrt oder Wanderung („Gilgul“) an. Die Seele des 
*) Der Kommentar des Cordovero zum „Sohar“ ist in vollem Umfange nie 
abgedruckt worden, doch wird das Werk sowohl im „Pardes“ als auch in den 
Schriften des italienischen Kabbalisten Asarja Fano erwähnt, der im Besitze einer 
Sammlung von Manuskripten des Cordovero war (vgl. unten, § 18).
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.