Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

§ 7. Die Mystiker von Safed; Cordovero und Ari 
Safed zu nehmen, wo er zu dem dortigen Mystikerkreise in nähere 
Beziehungen trat. Die ihm eigene religiöse Verzückung gewann ihm 
die Herzen seiner dortigen Gesinnungsgenossen, und manche von 
ihnen schlossen sich ihm als Jünger an. In ihrer Begleitung wan- 
derte nun Ari häufig in der einsamen Umgegend von Safed umher, 
um ihnen die Geheimnisse der Kabbala zu offenbaren. An bestimm 
ten Tagen, namentlich am Freitag, pflegten sie die Grabstätte des 
Simon ben Jochai aufzusuchen, um dort mystische Zeremonien zu 
vollziehen, Hymnen anzustimmen und sich von der herannahenden 
„Wunderzeit“ sowie von den Vorbereitungen zum Empfange des 
kommenden Messias zu unterhalten. Einst, an einem Freitag — so 
berichtet die Überlieferung — zogen Ari und seine Jünger zum Emp 
fange der „Königin Sabbat“ vor die Tore der Stadt; während der 
Andacht wandte sich Ari plötzlich an seine Begleiter mit der Frage, 
ob sie bereit seien, unverzüglich nach Jerusalem weiter zu ziehen und 
dort den Sabbat über zu bleiben. Manche der Jünger waren unschlüs 
sig und erwiderten, daß sie vorher ihre Frauen verständigen wollten. 
Da rief Ari voll Verzweiflung aus: „Wehe uns Unwürdigen! Eben 
sah ich den Messias sich Jerusalem nähern — wäret ihr entschlossen 
gewesen, so wären wir vom Galuth endlich erlöst!“ 
Mitten in seinen ekstatischen Visionen wurde der junge Prophet 
plötzlich vom Tode ereilt. Die Pest raffte den Achtunddreißig jährigen 
im Jahre 1672 hinweg. Sein vorzeitiges Ableben machte auf seine 
Anhänger einen erschütternden Eindruck. Man verherrlichte den 
Heimgegangenen als einen neuen Henoch, der „mit Gott wandelte“ 
und den „Gott dann hinwegnahm“. Es hieß, daß Ari kein anderer 
als der „Messias aus dem Hause Joseph“ gewesen sei, der den alten 
Überlieferungen zufolge dem Erlöser aus dem Hause Davids als Vor 
bote den Weg bahnen sollte. Zum Interpreten der Geheimlehre des 
Ari wurde einer der ihm am nächsten stehenden Jünger Chaim Vital 
(i543—i62o), dessen Vater ein Thorakopist (Sofer) war und als 
ein aus Calabrien Zugewanderter Calabrese hieß. Die Lehren, die 
Ari nur mündlich im engen Kreise der Eingeweihten vorzutragen 
pflegte, hielt Chaim Vital in schriftlicher Form fest, wobei der Apo 
stel seinem Meister, wie dies in solchen Fällen häufig geschieht, auch 
eigene Gedanken wahllos in den Mund legte. So entstand die Lehre, 
die unter dem Namen praktische Kabbala fortleben sollte. 
5 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. VI 
65
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.