Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in der Neuzeit (6, Die Neuzeit ; Erste Periode / 1927)

§ 3. Der geistige Mittelpunkt in Palästina 
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mußte. Während seiner kurzen Amtstätigkeit vermochte er nur we 
nigen Gelehrten die Rabbinerwürde zu verleihen; zu diesen wenigen 
gehörte aber auch der künftige Schöpfer des „Schulchan Aruch“, 
Joseph Karo. 
So schlug denn der Versuch, der Heimat der Nation von neuem 
die nationale Hegemonie zu sichern, gänzlich fehl. Dieser Mißerfolg 
ist freilich weniger auf den Widerstand einer Handvoll von Rab 
binern als vielmehr auf eine allgemeinere Ursache, die äußeren Le 
bensbedingungen des damaligen Palästina, zurückzuführen. Die Kräfte 
der zwei neuerblühten Gemeinden von Jerusalem und Safed konnten 
nicht dazu ausreichen, in dem verwahrlosten Lande, in dem sowohl 
Landwirtschaft als auch Industrie und Handel schwer darniederlagen, 
ein lebenskräftiges Hegemoniezentrum für die gesamte Diaspora zu 
schaffen. Bei dem Fehlen einer sicheren materiellen Grundlage hätte 
auch der geistige Überbau der Dauerhaftigkeit entbehren müssen. Aber 
auch die auf ein unstetes Wanderleben zurückblickenden Gelehrten, 
die um jene Zeit an den geheiligten Trümmerstätten ihr Lager auf- 
geschlagen hatten, waren nicht dazu berufen, ganze Aufbauarbeit zu 
leisten. Die vielgeprüften Wanderer waren zwar von messianischer 
Sehnsucht und von einem mystischen Glauben an die Auferstehung 
der neuen Heimat ganz durchdrungen, doch verfügten sie weder über 
ein positives Aufbauprogramm noch über die Kraft, ein solches in 
die Tat umzusetzen. Aller Augen sahen unverwandt einem Wunder 
entgegen. Das Heil wurde allein vom inbrünstigen Gebet, von der 
Zwiesprache mit dem Allmächtigen erhofft. In den Synagogen und 
Schulen von Jerusalem schlossen sich die Gelehrten, ihre Jünger und 
alle Gottesfürchtigen überhaupt zu Wachtmannschaften zusammen, 
die der Reihe nach einmal in der Woche Tag und Nacht hin 
durch mit Fasten und Beten zubringen und Gott um die An 
kunft des Messias anflehen sollten. Als nach den Passahtagen des 
Jahres iÖ2i die Wachenden ihr frommes Werk in Angriff nahmen, 
geschah ein „Wunder“: während der nächtlichen Vigilie ging ein 
heftiges Gewitter nieder, und als die Andächtigen im grauenden Mor 
gen voll Inbrunst in den Ruf einstimmten: „Und nach Zion möge der 
Erlöser kommen!“, ließ ein Donnerschlag alle Häuser in der Stadt 
in ihren Grundfesten erbeben, ein Blitz fuhr in die Kuppel der an 
der Stätte des alten Tempels errichteten Omarmoschee und steckte 
sie in Brand. Die Greise von Jerusalem versäumten nicht, von dem
	        
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