Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

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§ 66. Das neue Zentrum in der Türkei 
zu dieser Kopfsteuer, dem „Charadsch 44 , wurden die Besteuerten je 
nach ihren Yermögensverhältnissen in drei Gruppen eingeteilt; soweit 
die Steuerpflichtigen gänzlich unbemittelt waren, wurden sie zum 
Heeresdienst eingezogen und einer besonderen, aus Nichtmuselmanen 
bestehenden Truppe (gharibah) zugewiesen. 
Im Jahre i453 fiel endlich auch die Hauptstadt von Byzanz. 
Nachdem der Sultan Mohammed II. (i45i— i48i) Konstantinopel 
erobert und seine Macht über die ganze Balkanhalbinsel ausgedehnt 
hatte, gewährleistete er den Juden wie den Christen in vollem Maße 
die den Andersgläubigen in einem muselmanischen Reiche gebühren 
den Rechte. Ein jüdischer Chronist, der dem damals zu einer füh 
renden Stellung gelangten Geschlechte Kapsali entstammte, schildert 
die näheren Umstände dieses Ereignisses in folgenden Sätzen: „Der 
Sultan Mohammed ließ in seinem ganzen Reiche den Ruf ergehen: 
,Vernehmet, ihr Nachkommen der Judäer, die ihr in meinem Lande 
lebet! Möge ein jeder von euch (der es wünscht) nach Konstantinopel 
kommen und möge hier dem Reste eures Volkes eine Zufluchtsstätte 
beschieden sein! 4 Und es strömten hierauf aus allen Himmelsrich 
tungen große Scharen von Juden herbei, und der Sultan wies ihnen 
in Konstantinopel Wohnstätten an und sie faßten dort festen Fuß... 
Auch gestattete er ihnen, Bet- und Lehrhäuser zu errichten, und stellte 
in dem königlichen Diwan (Kronrat) drei Sessel auf: den einen für 
den Mufti der Ismaeliter, den anderen für den griechischen Patrik 
(Patriarchen), den dritten aber für den jüdischen Rabbiner, damit 
jedes der drei Völker von seinem eigenen Führer geleitet werde. Zum 
Haupte der Juden wurde der schon als Rabbiner wirkende Moses 
Kapsali eingesetzt. Sein Sessel stand in dem königlichen Diwan neben 
dem des Mufti und er erfreute sich der besonderen Gunst des Sul 
tans 4 4 . Die Berufung eines jüdischen Repräsentanten in die höchste 
Staatsinstitution kennzeichnet am treffendsten die neue Lage der 
Dinge im Ottomanenreiche. Zehn Jahrhunderte früher erging in dem 
christlichen Konstantinopel das Dekret über die Abschaffung des jü 
dischen Patriarchats in Palästina und in dem Kodex, der den Namen 
des Urhebers dieses Dekrets, Theodosius’ II., trug, wurden alle die 
jüdischen Bürgerrechte in einschneidender Weise schmälernden Be 
schränkungen für alle Zeiten verewigt. Nun ward eine rückläufige 
Bewegung eingeleitet. Wie einstmals die Araber in Spanien, so gaben 
jetzt ihre Glaubensgenossen in der Türkei den geknechteten Juden
	        
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