Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

§ il. Das antijudaistische Element im Neuen Testamente 
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den „Menschensohn 1 ) in den Wolken mit großer Kraft und Herr 
lichkeit kommen“ (i3, 19-— 26). 
Ein größerer Abstand trennt von all diesen Erlebnissen den Ver 
fasser jenes Evangeliums, dem im Kirchenkanon der erste Platz ein 
geräumt wurde, Matthäus. Er ist eher ein Gelehrter, eher ein Theo 
loge und Prediger als ein Biograph. Er konstruiert in künstlicher 
Weise eine Genealogie, nach der Jesus mütterlicherseits als ein Nach 
komme des Königs David erscheint, was sein Recht auf den Titel 
eines Messias oder Christus begründen soll, und bringt ihn zugleich 
durch die übernatürliche Empfängnis vom Heiligen Geiste in ver 
wandtschaftliche Beziehungen zu Gott, um so das ihm beigelegte 
Attribut des „Gottessohnes“ zu rechtfertigen. Die größte Beachtung 
schenkt der Verfasser den alten Aufzeichnungen („Logoi“) entlehnten 
Aussprüchen Jesu, doch kann er sich auch hierbei in der sogenannten 
„Bergpredigt“ (Kap. 5—7) der theologischen Polemik nicht enthal 
ten, die ihn nicht selten in Widersprüche verwickelt. So stellt er 
einerseits die Behauptung auf, daß Christus das Gesetz und die Pro 
pheten nicht aufzulösen, sondern zu erfüllen gekommen sei, anderer 
seits bringt er jedoch die Lehren Jesu zu denen der Thora in Ge 
gensatz, deren Text er allerdings manchmal falsch zitiert oder aus 
legt. So zitiert er z. B. einmal (5, 43): „Ihr habt gehört, daß ge 
sagt ist: ,Du sollst deinen Nächsten lieben und deinen Feind hassen , 
ich aber sage euch: liebet eure Feinde“, während in Wirklichkeit die 
Worte: „und deinen Feind hassen“ sowohl im hebräischen Urtext 
der Thora (Lev. 19, 18) als auch in deren griechischer Übersetzung 
fehlen und somit nichts als eine tendenziöse Einschaltung des Ver 
fassers oder Redaktors in Zitatform darstellen. Bald heißt es in dem 
Matthäusevangelium, Jesus und seine Jünger seien allein zur Erret 
tung der „verlorenen Schafe aus dem Hause Israels“ (10, 6; i5, 2 4) 
gekommen, bald wird der Vorrang den Heiden eingeräumt, die des 
„Himmelreiches“ statt seines ehemaligen Erben Israel teilhaftig wer 
den sollen (8, 11—12; 21, 43). Dies zeugt davon, daß der Verfasser 
zwischen den Sekten der Judenchristen und der Heidtenchristen hin 
und her schwankte. Mit äußerster Erbitterung wendet er sich gegen 
die „Schriftgelehrten und Pharisäer“, mit denen er, wie es scheint, 
!) Dies ist bei Markus die übliche Bezeichnung für Jesus; die Kennzeichnung 
als „Gottessohn“ im Titelvers des Buches, die in vielen alten Abschriften fehlt, 
stellt wohl eine spätere Interpolation dar.
	        
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