Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

§ 10. Der alte und der neue Glaube 
sei keine Hoffnung 1 )“. Aus diesem Anlaß ist den Juden von den al 
ten christlichen Schriftstellern zum Vorwurf gemacht worden, daß sie 
in ihren alltäglichen Gebeten „die Christen verfluchten“, doch ist der 
Vorwurf in dieser Form durchaus unbegründet: die Juden sagten sich 
in einer besonderen Formel nur von denjenigen aus ihrer eigenen Mitte 
los, die sich unter dem Scheine des Judaismus zu einer die natio 
nale Hoffnung des Judentums verleugnenden sektiererischen Lehre 
bekannten. 
Zur Zeit des Aufstandes unter Hadrian kam diese innere Ent 
fremdung der Judenchristen gegenüber allem, was dem Volke am 
teuersten war, besonders kraß zum Vorschein. Die überwiegende 
Mehrzahl des Volkes erblickte in dem Aufstande den letzten Versuch 
einer Rettung der nationalen Unabhängigkeit und in Bar Kochba 
den prädestinierten politischen Messias. Die judenchristliche Sekte 
stand hingegen der Freiheitsbewegung völlig gleichgültig gegenüber 
und vermochte den Führer des Aufstandes nicht als Messias anzu 
erkennen, da nach ihrer Überzeugung der Messias schon hundert 
Jahre früher in der Person Christi erschienen war. Das gleichgültige, 
ja manchmal sogar feindselige Verhalten der Sektierer der Volksbe 
wegung gegenüber rief unter den Freiheitsenthusiasten Empörung 
hervor; an manchen Orten verdächtigte man die Sektierer sogar der 
Spionage zugunsten der Römer, weshalb sie auch der Verfolgung 
durch Bar Kochba und seine Mitstreiter ausgesetzt waren 2 ). Die Ver 
folgten retteten sich durch Flucht in die hellenistischen Städte Trans^- 
jordaniens, wohin einst bei der Belagerung Jerusalems auch die ersten 
christlichen Sektierer geflüchtet waren. Der unglückliche Ausgang 
des Aufstandes mußte den Christen eine moralische Genugtuung be 
deuten und das Dogma ihres mystischen Messianismus noch uner 
schütterlicher machen. Die dann erfolgten Unterdrückungsmaßnah 
men des Hadrian, deren Spitze gegen den nationalen Judaismus ge 
richtet war, legte der Sekte den Gedanken nahe, einen scharfen Tren- 
!) Der heutige Text dieses Gebetes, der unter dem Drucke der mittelalterlichen 
christlichen Zensur entstanden ist, hat folgenden Wortlaut: „Und den Verleumdern 
sei keine Hoffnung; und alle Feinde deines Volkes mögen schnell zugrunde gehen 
und sie alle baldigst ausgerottet werden; und lähme und zerschmettere und stürze 
und beuge die Übermütigen bald in Eile in unseren Tagen. Gelobet seist du, Herr, 
der du zerschmetterst Feinde und beugest Übermütige“. 
2) Bezeugt von dem zeitgenössischen christlichen Apologeten Justin dem Mär 
tyrer in seinem Werke „Apologie“, I, 3i. 
7 s
	        
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