Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

Die Diaspora und das Zentrum in Babylonien 
Kreisen der jüdischen Gesellschaft. Das nationale Leben der babyloni 
schen Juden erhielt dadurch einen neuen Energiezufluß, so daß sie 
sogar den kühnen Plan faßten, sich von der palästinensischen Hege 
monie ganz unabhängig zu machen. Der Versuch des Chananja, ein 
besonderes babylonisches Synhedrion in Nahar-Pakod zu gründen, 
schlug allerdings fehl (§ 17), doch konnte es kaum noch zweifelhaft 
sein, daß das jüdische Babylonien früher oder später aus eigener 
Kraft ein nationales Autonomiezentrum aufbauen werde. Im Zeitalter 
des Jehuda ha’Nassi und der Mischnasammlung sandte Babylonien 
ganze Scharen junger Leute nach Galiläa, die in den dortigen Aka 
demien ihre Hochschulbildung genossen, um dann mit großen Kennt 
nissen und reicher Erfahrung in Fragen der Gemeindeselbstverwal 
tung in ihre Heimat zurückzukehren. 
Die allgemeine Lage der Juden im Partherreiche ermöglichte ihnen 
eine freie soziale und wirtschaftliche Entwicklung. Die kriegerischen 
Widersacher der Römer im Morgenlande, die Parther, begegneten 
überhaupt den ihnen Untertanen Fremdstämmigen mit Duldsamkeit, 
um so mehr den Juden, die gleich den Parthern die Römer, die Un 
terjocher Judäas, von ganzem Herzen haßten und den Kampf gegen 
sie in jeder Weise unterstützten. Andererseits vermochte auch die halb 
persische, halb griechische Mischkultur der Parther auf die einheit 
liche nationale Kultur der Juden, die dazu noch im Lande in kom 
pakten Massen lebten, in keiner Weise zersetzend einzuwirken. Manche 
babylonische Städte waren zum überwiegendsten Teil von Juden be 
wohnt, die sich hier keineswegs als Fremdlinge, sondern als altein 
gesessene Bürger fühlten. So wies die Stadt Nehardea am Euphrat 
eine fast ausschließlich aus Juden bestehende Bevölkerung auf und 
spielte lange Zeit die Rolle eines babylonischen Jerusalem; zur Zeit, 
da noch der Jerusalemer Tempel bestand, befand sich hier eine 
Schatzkammer, wohin alle Geldspenden der Babylonier zugunsten des 
Tempels flössen. In der Nähe von Nehardea lagen zwei Städte, Pum- 
badita und Sura, wo sich gleichfalls jüdische Gemeinden von jeher 
eines ruhigen Lebens erfreuten. Vornehmlich von Juden bewohnt 
war außerdem die der parthischen Hauptstadt Ktesiphon am nächsten 
liegende Stadt Machusa am Tigris. Abgesehen von diesen vier Haupt 
gemeinden lebten die Juden in kompakten Massen auch in vielen an 
deren babylonischen Städten und Ortschaften. Sie trieben Ackerbau, 
Viehzucht, aber auch Handel und allerlei Gewerbe. Ihre allgemein 
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