Die Entstehung des Christentums
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trus auf und zeihte ihn der Inkonsequenz und des Unverständnisses
der wahren Lehre Christi, die gerade in der Abschaffung des früheren
Dogmas von der „Rechtfertigung durch das Gesetz“ bestünde. Es
entbrannte nun ein offener Kampf in den Gemeinden Kleinasiens
und Syriens zwischen den judenchristlichen Aposteln und dem „Apo
stel der Heiden“, wie man Paulus nannte. Ein Widerhall dieses Kamp
fes ist noch in den „Briefen“ des Paulus (besonders in denen an die
Galater und Korinther) in seinem leidenschaftlich polemischen Tone
sowie in seiner schonungslosen, manchmal die Grenze des Judenhas
ses streifenden Zurückweisung des „Alten Bundes“ zu vernehmen.
Immer weiter in der einmal erwählten Richtung fortschreitend,
setzte Paulus seine Missionstätigkeit in Griechenland und Macedonien
fort, wo sich um jene Zeit (5o—60) bereits Keimzellen des Christen
tums herausgebildet hatten: so die kleinen Gemeinden von Korinth,
Philippi, Thessalonike und anderen Städten. In jeder Stadt, die eine
jüdische Kolonie barg, predigte er zuerst in der Synagoge; da er je
doch nur selten Proselyten unter den Juden gewann, so wandte er sich
dann mit seiner „Heilsverkündigung“ an die Heiden. Viele Griechen
fühlten sich durch die ihren religiösen Anschauungen verwandte Theo
sophie des Paulus angezogen; besonderes Wohlgefallen fanden sie an
den gemeinsamen Mahlzeiten oder brüderlichen Abendmahlen, die an
manchen Orten in orgiastische, den hellenistischen Kulten eigentüm
liche Mysterien ausarteten. Der Apostel der Heiden mußte die Erfah
rung machen, daß die von ihm der Anschauungsweise und den Nei
gungen der Neubekehrten gemachten Konzessionen von diesen des
wegen angenommen wurden, um die neue Religion zu einem weiteren
Entgegenkommen an das Heidentum zu veranlassen. So mußte er in
Korinth mit Empörung der Unzucht unter den neubekehrten Grie
chen gewahr werden, die der Meinung waren, daß die von der „Skla
verei des Gesetzes“ befreite neue Religion alles erlaube. Diesem Erbe
der antiken Kultur, der Unzucht, trat nun Paulus mit der ganzen
ihm eigenen Macht des Wortes entgegen. Er verfiel in das entgegen
gesetzte Extrem und begann die Lehren des strengen Asketismus zu
predigen. Die Moral des Paulus gründet sich auf dem Prinzip des
Gegensatzes von Fleisch und Geist; das Fleisch ist der Urquell der
Sünde: gegen das Fleisch müsse man kämpfen, von der Sünde könne
man durch den Glauben und die Kommunion mit Christus, dem
Erlöser, erlöst werden. Diese These einer unbedingten Sündhaftigkeit