Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

§ 103. Der Apostel Paulus und der Bruch mit dem Judentum 
549 
Kleinasiens unternahm. Feurig predigte er überall unter den Juden 
und Griechen die neue Lehre, indem er sich den Besonderheiten die 
ses gemischten Milieus anpaßte. Die Bekehrung der Heiden wurde 
für Paulus zur Hauptaufgabe. Er war ganz von der großartigen Idee 
besessen, die ganze Welt zum wahren Glauben zu bekehren und das 
Christentum aus einer Sektenlehre in eine Weltreligion zu verwan 
deln. Die Erfahrung überzeugte aber Paulus endgültig, daß das 
Christentum nie weite Verbreitung unter den Heiden finden würde, 
wenn es von seinen Bekennem die Befolgung aller Riten des Juden 
tums, sogar des beschwerlichsten, des der Beschneidung der neube 
kehrten Männer, verlangte. Andererseits tat es, zur Gewinnung der 
Proselvten unter den Heiden, not, die neuen Begriffe vom einzigen 
Gotte und vom Messias Jesus den altüberkommenen heidnischen re-< 
ligiösen Anschauungen und Bräuchen anzupassen. Hier zeigte sich 
nun die synkretistische Erfindungsgabe des Paulus in ihrer ganzen 
Genialität. Aus den verworrenen, mit Elementen orientalisch-helleni 
scher Kulte jener Zeit untermischten jüdisch-christlichen Glaubens 
anschauungen schuf er eine neue dogmatische Lehre, die in mancher 
Hinsicht dem Judaismus fern, doch der heidnischen Weltanschauung 
durchaus verwandt war. Die Reform des Paulus verwandelte die Lehre 
„nicht von dieser Welt“ in eine Lehre „von der Welt“ und für diei 
Welt, jedoch nicht für die jüdische Welt, sondern für die heidnische. 
Seine religiöse Doktrin legte er in systematischer Form nicht nur in 
den mündlichen Predigten, sondern auch in den griechisch abgefaßten 
ausführlichen Schreiben nieder, die an die in verschiedenen Städten 
entstehenden christlichen Gemeinden gerichtet waren 1 ). 
Vor allem riß Paulus die messianische Idee endgültig von ihrem 
jüdischen Heimatboden los. Herrschte im Kreise der ersten Apostel, 
der unmittelbaren Jünger Jesu, noch die Vorstellung von ihm als von 
einem gottbegnadeten, zum geistigen Heile des jüdischen Volkes ge 
sandten Menschen vor, so verwandelte er sich in dem Geiste des Pau- 
1) Aus den in das „Neue Testament“ aufgenommenen Briefen des Paulus 
werden von der Mehrzahl der Kritiker die folgenden als echt, vom Apostel selbst 
herrührend, anerkannt: die Briefe an die Galater, Korinther, Römer, Thessaloni- 
cher, Philipper und an Philemon. Die Autorschaft der übrigen ist umstritten. Daß 
Paulus der Verfasser des „Briefes an die Hebräer“ sei, wurde von vielen noch in 
den ersten christlichen Jahrhunderten geleugnet. Jedoch sind auch die umstrittenen 
Briefe zum größten Teil im Geiste des Paulus gehalten und wahrscheinlich von 
seinen in den echten Briefen erwähnten Jüngern und Mitstreitern verfaßt.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.