Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

Der nationale Krieg und der Untergang des judäischen Staates 
Verlauf des Krieges war außerdem auch noch die Tatsache, daß in 
den beiden Hauptzentren der Revolution, in Jerusalem und in Gali 
läa, mit den Rüstungsmaßnahmen Männer betraut wurden, die selbst 
an dem Erfolge des Aufstandes zweifelten. Die Jerusalemer Befehls 
haber, Joseph ben Gorion und der sadduzäische Hohepriester Chanan, 
waren für die Organisierung der Verteidigung wenig geeignet. Als be 
sonders unglücklich erwies sich die Ernennung des Josephus Flavius 
zum Landvogt und Oberbefehlshaber von Galiläa. Galiläa war ein 
Vorposten auf dem Anmarschwege des Feindes und mußte daher den 
ersten Anprall des gegen die Hauptstadt vorrückenden römischen Hee 
res Zurückschlagen. Der Organisator der Verteidigung Galiläas zeigte 
sich aber nicht nur als ein unzulänglicher Heerführer, sondern auch 
als ein wenig entschlossener Anhänger jenes Befreiungskrieges, in dem 
er einen so verantwortungsvollen Posten auf sich genommen hatte. 
Der Abkömmling eines Priestergeschlechts, genoß Josephus in sei 
ner Kindheit eine pharisäische Erziehung. Sogar in seiner Heimat 
stadt Jerusalem, dem Mittelpunkt der Schriftgelehrsamkeit, galt er 
als ein ausgezeichneter Thorakenner. Die nahen Beziehungen, in die 
er vorübergehend zu den Sadduzäern und Essäern getreten war (er 
lebte sogar drei Jahre lang unter den Essäern in der Wüste) entfrem 
deten ihn keineswegs der pharisäischen Weltanschauung. Von stärke 
rem Einfluß auf ihn war der zweijährige Aufenthalt in Rom, wohin 
er im 26. Jahre seines Lebens, während der Regierungszeit Neros, ge 
kommen war (64). Hier fand er Einlaß in den höheren Gesellschafts 
kreisen (er wurde von seinem Freund, dem jüdischen Hof Schauspie 
ler Alityrus, der Kaiserin Poppäa vorgestellt) und konnte so aus näch 
ster Nähe die Sitten des für ihn neuen Milieus kennen lernen. Die 
Außenseite der griechisch-römischen Kultur mußte unausbleiblich 
einen tiefen Eindruck auf den Jerusalemer Schriftgelehrten machen; 
allein auch ihre Kehrseite, die tiefgreifende Sittenverderbtheit in al 
len Gesellschaftsschichten, blieb ihm nicht verborgen. Die ethischen 
Prinzipien des Judaismus bewahrten Josephus vor der blinden Anbe 
tung der hellenisch-römischen Ideen, nicht aber vor der Verehrung 
des politischen Genies der Römer. Er gewann die Überzeugung von 
der unbezwingbaren Macht des Weltimperiums. Es schien ihm, als 
sei Rom vom Himmel selbst bestimmt, die Welt zu regieren, und als 
könnte Judäa durch die Verknüpfung seines Schicksals mit dem des 
Imperiums ebensoviel an Zivilisation gewinnen, wie es an politischer
	        
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