§ 72. Die Judenhetze in Alexandrien
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solche Ansprüche nur begünstigen mußte, für die Juden aber, die
Träger des geistigen Prinzips des Monotheismus, waren sie nichts
als Gotteslästerung. Für sie war die Idee des Gottmenschen in der
Gestalt des Kaisers ebenso unannehmbar, wie die um jene Zeit auf
den Plan tretende Idee des Gottmenschen in der Gestalt des Christus.
Inzwischen begann man bereits in den römischen Provinzen Sy
rien und Ägypten den Willen des irrsinnig gewordenen Kaisers zur
Ausführung zu bringen. Tausende und Abertausende knieten in den
heidnischen Tempeln vor den Standbildern des Caligula nieder. Nur'
die in diesen Provinzen unter den heidnischen Massen verstreuten
Juden wandten sich mit Entsetzen von dem Kaiserkultus ab und lie
ßen die kaiserlichen Standbilder nicht über die Schwelle ihrer Tem
pel und Synagogen. Die Juden der Diaspora besaßen übrigens, kraft
der ihnen früher verliehenen Vorrechte, die ihre völlige religiöse
Freiheit gewährleisteten, auch ein unbestrittenes Recht dazu. In di ei
sern Zeitalter roher Willkür galt jedoch das Recht so gut wie nichts.
In diesem Falle verschärfte sich die Lage noch dadurch, daß die
Erfüllung des Monarchenwillens als Maßstab für die Ergebenheit
und für die politische Zuverlässigkeit der Bürger angesehen wurde.
So konnte die Weigerung der Juden, sich an dem Kaiserkultus zu
beteiligen, sowohl als eine „Majestätsbeleidigung“ wie auch als eine
Kundgebung gegen die Oberhoheit Roms ausgelegt werden. Die
Feinde der Juden versäumten denn auch nicht, diese für ihre Gegner
so gefährliche Auslegung ihren Zwecken dienstbar zu machen. Dies
war der Anlaß für das blutige Drama, das sich im Hauptzentrum
der jüdischen Diaspora, im ägyptischen Alexandrien, abspielte.
Um diese Zeit spitzten sich die Beziehungen zwischen der grie
chischen und jüdischen Bevölkerung Alexandriens, die auch früher
schon nichts weniger als freundlich waren, bis zum Äußersten zu.
Einerseits wurden nämlich die Juden wegen ihrer bürgerlichen
Gleichberechtigung von den eingeborenen Ägyptern beneidet, die von
den Griechen weder unter den Ptolemäern, noch unter der römischen
Herrschaft als Vollbürger anerkannt wurden; andererseits waren auch
den Griechen, die sich als Herren in der Stadt fühlten, die wirt
schaftlichen Erfolge der großen jüdischen Gemeinde, sowie deren
autonome Organisation und ihre von den römischen Behörden be
schützten Rechte und Freiheiten schon längst ein Dorn im Auge.