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Viertes Kapitel
Das innere Leben Judäas und die Diaspora
§ 34. Judäa und die Diaspora
Zwei Fragen erheben sich sofort für jeden, der über das jüdische
Leben in der Hasmonäerepoohe einen Überblick gewinnen will: Hat
sich erstens die Diaspora, d. i. die Zerstreuung der Juden in verschie
denen Ländern und Kulturzentren außerhalb des unabhängigen jüdi
schen Reiches, in jener Epoche verringert? Und ist es zweitens dem
von der politischen Oberhoheit der orientalisch-hellenischen Umwelt
befreiten Judäa gelungen, sich auch von deren kulturellem Einfluß
zu befreien? Auf beide Fragen fällt die Antwort der Geschichtsschrei
bung, wie wir bald sehen werden, verneinend aus.
Die hasmonäische Epoche, die die jüdische Bevölkerung Judäas
und der benachbarten palästinischen Länder zu einem politischen Gan
zen verband, vermochte wohl den weiteren Prozeß der Zerstreuung
der Juden, der unter der Ptolemäer- und Seleucidenherrschaft be
drohliche Dimensionen angenommen hatte, aufzuhalten; sie reduzierte
aber nicht die Zahl der von früher her bestehenden, außerhalb Palä
stinas, in Asien und Afrika, verstreuten jüdischen Kolonien und Kul
turzentren. Große und kleine jüdische Ansiedlungen bestanden auch
weiter in Ägypten, Mesopotamien, Syrien und Kleinasien fort 1 ). Zu
besonderer Entfaltung und Blüte gelangte dabei der jüdische kultu
relle Mittelpunkt in Ägypten, von dem jedoch erst weiter unten die
Rede sein wird. Dagegen vernehmen wir nichts von einer bedeutenden
1 ) Hinsichtlich Kleinasiens und Syriens ist dies aus jenen Freibriefen zu er
sehen, die Julius Cäsar für eine ganze Reihe jüdischer Gemeinden in diesen zu Pro
vinzen des römischen Reiches gewordenen Ländern ausstellen ließ (s. unten, § 63).
Diese Freibriefe wurden infolge der Klage der jüdischen Gemeinden vor der rö
mischen Regierung wegen Verletzung ihrer autonomen Rechte seitens der einheimi
schen griechischen Bevölkerung erteilt; wenn aber solche Klagen im I. Jahrhundert