Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

i3 
§ 1. Allgemeine Übersicht 
Der ganze Gegensatz: Jerusalem und Athen tritt mit besonderer 
Deutlichkeit in diesem goldenen Zeitalter der griechischen Geschichte 
hervor. In Jerusalem befestigt sich die Theokratie, in Athen dagegen 
die weltliche Demokratie; jedoch ist die wohlversorgte Volkswirtschaft 
im freien Athen auf Sklavennot und -arbeit begründet, während die 
Sklaverei im bescheidenen Haushalt Judäas nur eine unbedeutende 
Rolle spielt. Noch greller erscheint der Gegensatz auf dem Gebiete 
der Religion und der Sitten. In Judäa — ein strenger Monotheismus, 
als Verfassung — die göttliche Thora, die Reglementierung des ge 
samten gesellschaftlichen und privaten Lebens um der Erhaltung der 
von Gott auserkorenen Nation in der Mitte der heidnischen Welt wil 
len; in Griechenland — ein ungebundener Polytheismus, eine bunte 
Mythologie, die die Gottheit in den Kreis der irdischen Leidenschaf 
ten bannt, lockere Sitten sowohl oben auf dem Olymp wie auch hie- 
nieden auf Erden. Dort der über die Natur erhabene Weltschöpfer 
Jahve; hier Zeus, Apollo, Dionysos-Bacchus, Demeter, Aphrodite und 
eine Unmenge Gottheiten beiderlei Geschlechts, die ganz in der Natur 
aufgehen. Dort das Reich des religiösen Gesetzes, der unerbittlichen 
sittlichen Pflicht, stetige geistige Vervollkommnung als Sinn und 
Gehalt des Lebens, das Wissen als Mittel der Gotteserkenntnis, ^,die 
Heiligung des Lebens“ als ein sittliches Dogma, somit Reichtum an 
ethischer Kultur und Unzulänglichkeit auf ästhetischem Gebiete; hier 
das Leben um des Lebens willen, ein Kultus der Schönheit, bildende 
Kunst, Wissenschaft und Philosophie zur Rereicherung des Geistes, 
das entscheidende Überwiegen des ästhetischen Prinzips über das 
ethische. Dort die schriftkundigen Soferim, hier die redegewandten, 
leutseligen Sophisten. Wohl versuchte Sokrates, der große Rürger von 
Athen, die rohen Auswüchse des Polytheismus zu mildern und dem 
Kultus des „Rechten und Guten“ zum Siege über den Kultus der 
Schönheit zu verhelfen; in seiner Lehre, wie auch in der späteren Me 
taphysik des Plato und Aristoteles, ist der ausgesprochene Hang zum 
Monotheismus nicht zu verkennen, so daß der griechische Genius sich 
auf den geistigen Höhen oft genug mit dem Genius des Judentums 
berührt 1 ). Indessen blieben in Griechenland die Lehren des verurteil 
ten Atheners Sokrates, ebenso wie die des Aristoteles, der der Verur 
teilung wegen Gottlosigkeit kaum entgangen war, ein Erbteil einiger 
U Noch vor Sokrates erhob seine Stimme gegen die Vielgötterei der Philo 
soph Xenophanes (Eleatische Schule), der der Mythologie des Homer und Hesiod
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.