Volltext: Über Land und Meer : deutsche illustrierte Zeitung 3. Band 1902 (44. Jahrgang / 3. Band / 1902)

Ueber Land und Meer— 
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system Argentiniens ein. Für die dort herrschende 
Papierwährung ist es bezeichnend, daß im Jahre 
1899 trotz der verhältnismäßig günstigen Lage des 
Landes Gold 178 Prozent mehr wert war als 
Papiergeld, während das Goldagio im Jahre 1900 
seinen höchsten Stand mit 1425/1 Prozent erreichte, 
also doch zurückgegangen war, und seinen niedrig— 
sten Stand, allerdings nur sehr kurze Zeit, Anfang 
1900 mit 1287/5 Prozent hatte. Nach einer Auf— 
stellung des Münzdirektors der Vereinigten Staaten 
von Nordamerika war in Argentinien 1899 über— 
haupt kein Silbergeld im Umlauf, sondern für 128 
Millionen Mark Gold und sür 1631 Millionen Mark 
Papiergeld (Nennwert), d.h. der Umlauf des Papier— 
geldes ist dreizehnmal so groß wie der von Gold. 
Die Regierung kann nur mit Mühe den Zwangs— 
kurs der Valuta aufrecht erhalten. 
Deutsches Kapital beteiligt sich neuerdings auch, 
allerdings in nur geringem Umfange, an der Unter— 
suchung über die Abbaufähigkeit von Goldminen 
in San Luis. —. 
Der deutsche Grundbesitz ist, den großen deut— 
schen Interessen entsprechend, beträchtlich; sein 
Wert wird auf 160 Millionen Mark geschätzt, 
einschließlich einiger Weinberge von 150 Hektar 
in Mendoza, die einen jährlichen Reinertrag von 
45 000 Mark liefern, und Zuckerrohrplantagen in 
Tucuman. 
Geschlossene deutsche Ansiedlungen, Ackerbau— 
kolonien, giebt es in den Provinzen Buenos Aires, 
Santa Fé und Entre Rios. Sie sind vielfach stark 
nit Deutsch-Schweizern durchsetzt. Die Staats— 
ingehörigkeit haben die Kolonisten hier durch Nach— 
ässigkeit, Scheu vor den Kosten oder der Wehrpflicht 
ind durch die Bestimmung des deutschen Ge— 
etzes, das Auswanderern nach zehn Jahren die 
Itaatsangehörigkeit abspricht, verloren. Sie be— 
inden sich im allgemeinen in guter Lage, wenn die 
etzten Mißjahre ihnen auch Schaden gebracht haben. 
Vor einiger Zeit hat sich in Bremen eine Aktien— 
zesellschaft mit einem Grundkapital von fünf Mil— 
ionen gebildet, die „Compania Rural Bremen“, 
die in Buenos Aires und andern Bezirken Grund— 
hesitz erworben hat, um dort Ansiedlungen zu grün— 
den und die Erzeugnisse von Ackerbau und Vieh— 
zucht durch Errichtung großer Mühlen und Fabriken 
herschiedener Art zu verwerten. — 
Auch sonst sind vielfach deutsche Kapitalien in 
zypotheken, Aktien, Staats- und Provinzialpapieren 
ingelegt. Das allein in Hypotheken angelegte 
Kapital wird auf 40 Millionen Mark geschätzt. 
Alles in allem gewähren die deutsch⸗-argentini— 
schen Wirtschaftsbeziehungen ein zwar nicht schatten— 
oses, aber dennoch stolzes Bild der Ausdehnung 
der deutschen Verkehrsinteressen über den Ozean, 
deutschen Fleißes und deutscher Kulturarbeit und 
des unaufhaltsamen, siegreichen Vordringens Deutsch— 
lands im Wettkampfe der Völker um die Erringung 
eines immer größer werdenden Anteils am Welt— 
markt: Arthur Dix 
—2 
An den dreissigsten Geburtstag 
Von 
C. von Seybold- 
Mas hast du, verpönter Dreissiger, 
Mas hast du denn nur verbrochen? 
Verleumdet wird keiner fleissiger 
Und übler als du besprochen. 
Vor allem ist es das zarte Geschlecht, 
Das rückt dir schrecklich zu Leibe; 
Der hässlichssten Jungfer kommst du nicht recht, 
Nicht dem schönheitstrahlenden Meibe. 
Sie wenden sich schaudernd von dir ab 
Mit unverhohlenem Grauen, 
Als ob sie blickten ins offene Grab, 
Wenn sie ins Auge dir schauen. 
Mir aber sollst du willkommen sein, 
Du verschrie'ner und viel gehasster; 
Mir dünkst du für manche Lebenspein 
Gerade das richtige Pflaster. 
Dann muss ich an die Schörze nicht mehr 
Mich hängen von Basen und Canten, 
Vor denen die Männerwelt nur ein Heer 
Von Freiern uͤnd Reflektanten. 
Muss nicht mehr, wenn man von 2ola spricht, 
Srröten bis über die Ohren 
Und krampfhaft zãhlen die Maschen nicht, 
Als hätt' ich eine verloren. 
aAeber Land und Meer. Ill. Okt.-Hefte. XVIII. 12 
Muss nicht im trauten Freundinnenkrei⸗ 
Verlegen spielen die Taube, 
Indes sie tuscheln und flüstern leis, 
Die glücklich unter der Haube. 
Muss konsequent nicht voruübersehn 
An dem Bild mit der goldnen Medaille, 
Meil Damen darauf spazieren gehn, 
Die gänzlich vergessen die Taille. 
Zum Chee nimmer laden mich Backlische ein, 
Die plappern wie Mühlenrädchen; J 
Ich darf ein vernünftiger Mensch dann sein 
Und nicht nur ein „junges Mädchen“ 
Sin Vollmensch, der seine Pummer stellt, 
Bestrebt, sich im Kampf zu bewähren, 
Der redet, wie und mit wem's ihm gekällt, 
Selbsst wenn es — Jünglinge wären. 
Drum, leber Dreissigster, nur herbei, 
Denn wie, auch die Leute schnattern, 
Vor dir verstummt das böse Geschrei: 
„Die will sich Sinen ergattern.“ 
Doch sãumst du ein paar Jährchen noch, 
So hab' ich just nichts dagegen; 
Und das mit dem freudigen Millkommshoch, 
Das — muss ich mir noch überlegen. 
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