Volltext: Braunauer Kalender 1914 (1914)

38 
macht in ihrem Hause. — Jetzt mach' du ihr Platz dafür in deinem Hause. . und 
laß mich einmal zu dir und ihr kommen — dann ist alles gut, alles." 
Und jetzt rollten ihm die hellen Zähren über die Wangen und sein Körper 
wurde von einem leisen Weinen geschüttelt. — Auch hinter der Bettstatt hervor er¬ 
tönte auf einmal ein Wimmern. Er stand ans und nahm sein einziges Kind, das 
zweijährige Hänsele, aus der Wiege. Eine Zeitlang hutschte er es in den Armen, 
dann hielt er es nahe vor das Ziborium hin und während das Kind seine Händ¬ 
chen verlangend nach den schimmernden Blumen ausstreckte, betete er wieder: 
„O lieber Gott, schau' das arme Waisl! . . . Das Bübl tut mir so viel er¬ 
barmen ... Die Mutter ist für dich fortgegangen, lieber Gott — du mußt jetzt 
dem Bübl Mutter und alles sein ... Herr, bleibe bei uns! Verlaß uns nicht und 
hilf uns das große Kreuz tragen . . . Aber, nein, so ist's nicht gemeint . . . Wir 
tun uns doch recht freuen, ich und das Bübl, daß wir dich in unserem Hause 
haben; . . . gelt, Hänsele, wir tun uns freuen und so gern haben wir niemand 
wie unsern Herrn ?." 
Nach einer Weite legte er das Kind in die Wiege zurück und schaukelte es in 
den Schlaf. — Da wurde plötzlich stark an das Fenster geklopft und zugleich hörte 
er draußen einen weinenden Ton. — Von einer dunklen Ahnung erfaßt, stürzte er 
hinaus. Und draußen kam eine gespensterhaft aussehende Gestalt auf ihn zu und 
fiel ihm mit dem schluchzenden Rufe: „Jörg, mein Jörg!" um den Hals. 
„Nandl!" schrie er, „bist du's■ wirklich und lebst du? Ist's nicht dein Geist? 
— Du bist so kalt — so kalt." 
„Nein, ich leb' schon," flüsterte das Weib, unser Herr hat mich durch ein 
Wunder gerettet . . . Wo ist denn unser Herr?" 
„Drinnen in der Kammer," jubelte er; unser Herr ist so gut! . . . Er hat 
mir dich, mein Liebstes auf der Welt, meine Nandl, wiedergegeben." 
„Jörg, er hat uns beide gerettet . . . Du bist kaum mit unserm Herrn über 
den Lärchstamm hinüber gewesen, da hat's ihn losgerissen und auf die andere Seite 
geworfen. Ich bin dir bis zur Runst nachgegangen und hab's gesehen. — Hättest 
du mich bei dir gehabt, wärst du nicht so schnell hinübergekommen und wir hätten 
beide den Tod gefunden." 
„Aber, Nandl, wie bist denn du herüber gekommen? Bist dn nicht in der 
Mure gewesen?" 
„Wohl, wohl, Jörg. — Wie die Mure in die Kapelle eingedrungen ist, bin 
ich herausgelaufen; da hat mich ein nieder fahr end er Baum in die Flut hineinge- 
riffeit. Ich hab' mich fest an die buschigen Zweige des Baumes angeklammert und 
bin mit denselben immer obenauf geblieben. — Die wilde Strömung hat mich weit 
hinuntergetragen bis in die Rautwiesen. Und da ist von hinten her plötzlich ein 
neuer gewaltiger Schub nachgefahren, der hat den Baum samt mich hinaus in das 
Feld geworfen. Ich bin dann von mir selbst gekommen und muß lange Zeit drunten 
tat Grase gelegen sein. — Als ich wieder das Bewußtsein erlangt hab', bin ich so 
schnell als möglich heraufgegangen." 
Sie sank abermals dem Manne an die Brust und ein Weinkrampf stieß ihren 
Körper. — Jetzt merkte der Gatte erst, daß ihre Kleider vollständig durchnäßt unb 
von Kot und Schlamm bedeckt waren. Er nahm sie in die Arme und trug sie wie 
ein Kind hinein in das Stübchen. Drinnen machte sich die Frau von ihm los und 
stürzte vor dem höchsten Gut in die Knie und rief inbrünstig: 
„Herr, du lieber, du guter! Du hast uns gerettet! Und du hast uns heimge¬ 
sucht in unserem eigenen Haus . . . Hochgelobet und gebenedeit seist du ohne End' 
im heiligen Sakrament!"
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.