Volltext: X. Jahrgang, 1905 (X. JG., 1905)

Seite 118. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 13. 
der Eisenbranche entstanden/sein. Die aus diesem Stoffe 
hergestellten Wohnungen zeigen dieselbe Erscheinung 
der Ungesundheit, wie wir sie oben angeführt haben. 
Professor W. L. 
Ein vergessenes Transportmittel. 
Die einstigen Transportmittel wurden durch neue 
verdrängt; das XIX. Jahrhundert mit seiner Revolution 
in allen Zweigen des Verkehrswesens hat die alten be¬ 
seitigt. Eine eigentliche Geschichte der Entwicklung der 
Verkehrsmittel fehlt bisher, trotz so mancher einschlägiger 
Arbeiten auf diesem Gebiete. Und doch ist der Gegen¬ 
stand wichtig genug, um eine eingehende Untersuchung 
und Darstellung zu verdienen. 
Doch nicht nur vom allgemeinen Standpunkte be¬ 
trachtet, sondern als städtische Einrichtungen, die in den 
einzelnen Ländern und Städten eine andere Form, andere 
Betriebsweisen angenommen haben, sind die Verkehrs- 
und Transportmittel aller Beachtung wert und mit Recht 
als ein Stück Kulturgeschichte anzusehen. Wir vermissen 
daher mit Bedauern in allen der Neuzeit angehörenden 
Stadt- und Baugeschichten die Behandlung dieses Stoffes, 
der soviel zur Blüte des geschäftlichen und menschlichen 
Verkehrs beizutragen berufen war. 
Wir wollen hier als Gegenstand unserer Betrachtung 
eines Verkehrsmittels gedenken, welches in Wien, als 
der letzten Stadt, wo es noch dem Namen nach bestanden 
hatte, vor längerer Zeit der Vergessenheit übergeben 
wurde. Wir meinen die Tragsesseln, Senften, chaise ä 
porteur. Schon unserer Zeit war der Sinn, die Kenntnis 
ihrer Form, ihre Notwendigkeit oder Nützlichkeit gänz¬ 
lich abhanden gekommen. Der letzte Epigone eines der 
ältesten Transportmittel mag sich von diesen Tatsachen 
wohl überzeugt haben, denn er hat sein Gewerbe auf¬ 
gegeben. 
Die Tragsesseln sind in ihren verschiedenen Gestal¬ 
tungen das älteste Transportmittel der Menschheit. Man 
könnte sagen, daß die Menschen schon vor den Tieren 
als Lastträger benützt wurden. Die Beförderung von 
Menschen und Lasten durch Menschen läßt sich auf die 
ältesten Zeiten zurückführen. Sie war schon den asia¬ 
tischen Völkern, den Semiten, Arabern und Ägyptern 
bekannt und durch die tausendjährigen Dynastien der 
ägyptischen Könige als ein denselben ausschließliches 
Recht in Tragsesseln vor dem Volke zu erscheinen, in 
Übung gekommen. Auch bei den klassischen Völkern, 
den Griechen und Römern, waren diese Beförderungs¬ 
mittel durch ihren vielfachen Verkehr mit dem Orient 
bekannt geworden und hatten besonders in Rom rasch 
Eingang gefunden. Sie hießen Lectica und waren Sessel 
aus Bronze, Silber oder Zypressenholz, bequem mit 
Polstern und Schattenspendern ausgestattet und wurden 
von einigen Sklaven (lecticales) an Stangen auf den 
Schultern getragen und durften gleich den später in 
Übung gekommenen Rollwagen nur von höheren Würden¬ 
trägern benützt werden. Die fortschreitende Macht¬ 
entwicklung, das aus dem Auslande zuströmende Gold, 
der stets sich mehrende Reichtum und Nationalwohlstand 
beförderte immer mehr das Wohlleben und den Luxus 
und so wurde diese Bequemlichkeit auch von allen be¬ 
sitzenden Klassen in Anspruch genommen. — Es bildeten 
sich daher in der Kaiserzeit eigene Gesellschaften von 
Sklaven, Freigelassenen und Plebejern, welche um dem 
allgemeinen Bedürfnisse zu entsprechen, die Verleihung 
dieser Tragsesseln gewerbsmäßig in Betrieb brachten. 
Man dürfte vielleicht glauben, daß im Mittelalter 
durch die immer mehr an Ausdehnung gewinnende 
Benützung der Reitpferde und primitiven Wägen die 
Tragsessel schon außer Gebrauch gekommen wären. 
Im Gegenteil hat der leichte, bequeme Tragsessel mit 
seiner Annehmlichkeit und Sicherheit durch lange Jahr¬ 
hunderte seinen Platz als Beförderungsmittel der ele¬ 
ganten Welt, insbesondere der Souveräne, hoher Geist¬ 
lichkeit und der Damen unentwegt behauptet und ist 
überhaupt erst im XVI. und XVII. Jahrhundert zur 
Allgemeinbenützung und zur Entwicklung künstlerischer 
Formen zu einer reichen dekorativen Ausschmückung 
gelangt. Besonders in Frankreich unter den letzten 
Ludwigen, die durch ihren Luxus und ihre Verschwen¬ 
dungssucht wenigstens der Kunst reichlich Nahrung 
boten, wurden wahre Meisterwerke von solchen Trag¬ 
sesseln erbaut und der gegenseitig sich überbietende 
Adel blieb nicht hinter dem Beispiel seiner Könige zurück. 
Es würde wohl zu weit führen, einige dieser noch 
erhaltenen Kunstwerke der Ornamentik, Malerei und 
Tapisserie zu schildern und wollen wir nur erwähnen, 
daß besonders Marquise Maintenon, die mit Recht als 
eine Beförderin des französischen Geschmackes und der 
Kunstindustrie zu betrachten ist, einen großen Einfluß 
auf die künstlerische Entwicklung dieses von ihr aus¬ 
schließlich benützten Verkehrsmittels geübt hat. 
Auch als eine altheidnische Überlieferung hat sich 
am Hofe der Päpste bis zum heutigen Tage der Trag¬ 
sessel, sedia gestatoria, der von vier violettgekleideten 
Trägern auf den Schultern getragen wird, erhalten. Auch 
mannigfache Abänderungen waren beliebt, aus den Trag¬ 
sesseln wurden Schiebesessel oder Zugsessel mit zwei 
bis drei Rädern und von Menschen gezogen oder ge¬ 
schoben; so besitzt die Gallerie des Louvre in Paris ein 
Bild, worauf der junge König Ludwig der XIV. auf einem 
herrlich modellierten, mit einer Krone überragten drei¬ 
rädrigen Fahrstuhl, ähnlich unseren heutigen Kranken¬ 
stühlen, von einem zahlreichen Gefolge umgeben, in den 
Gärten der Tuileries herumgeführt wird. — Später hing 
man auch diese Tragsessel, die die Form von Kasten¬ 
wägen mit Fenstern und einer vorne zu öffnenden Türe 
angenommen hatten, besonders für längere Reisen Maul¬ 
tieren an, welche die Menschenträger ersetzen mußten. 
Noch später wurden diese Art Sänften auf Räder gesetzt 
und die ersten schweren vierräderigen Wagen mit vor¬ 
gespannten Pferden kamen in Gebrauch. 
Auch in Österreich waren die Sänften allgemein in 
Gebrauch. Allseitig bekannt ist die Sänfte des großen 
Schlachtenlenkers Tilly, die sein unzertrennlicher Be¬ 
gleiter aller Feldzüge war. Auch der mächtigste Mann 
seiner Zeit, Wallenstein, bediente sich mit Vorliebe eines 
mit allem erdenkbaren Luxus ausgestatteten Tragsessels 
Kirchenfürsten und Damen der großen Welt gaben be¬ 
sonders bei längeren Reisen diesem angenehmen Ver¬ 
kehrsmittel den Vorzug vor den schwerfälligen Wägen, 
die besonders bei dem elenden Zustand der Straßen 
durch ihr fortwährendes Stoßen und Rütteln nicht eben 
zur Erhöhung der Reiselust beigetragen haben. Jene 
Zeit hatte es eben nicht so eilig, wie unsere raschlebige 
Welt, man dachte eben mehr daran, bequem und sicher 
an das Ziel zu kommen, als mit Eile und Gefahr Zeit 
und Geld zu ersparen. 
So finden wir in Wien im ganzen XVII. Jahrhundert
	        
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