Nr. 16.
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG.
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und Erfindungsgabe ist durch die Ausstellungen und
mehr noch durch die reich illustrierten Fachzeitschriften,
die V jetzt einen weiten Leserkreis haben, im ganzen Aus¬
lande bekannt und kann von heute auf morgen überallhin
berufen werden. Die Talente haben jetzt einen grossen
internationalen Markt.
Olbrich aber stellt heute an Leistungsfähigkeit, als
Architekt und vielseitiger Gewerbekünstler in allererster
Reihe. Der junge Oesterreichisch-Schlesier, der unter
Hasenauer studiert hat, aber erst an der Seite Otto
Wagners im praktischen Bauleben seine moderne Persön¬
lichkeit bewähren konnte, steht heute auf gleicher Höhe
mit Van de Velde in Brüssel, Plumet in Paris und
Eckmann in Berlin. In München kennen wir, trotz des
trefflichen Martin Dülfer, der den Kaim-Saal erbaut hat,
keine moderne Kraft von dieser Ausgiebigkeit und persön¬
lichen Note. Der junge Grossherzog hat dies mit raschem
Blicke erkannt und es. ist keine Phrase, wenn Olbrich
brieflich versichert wurde, dass „gerade seine architek¬
tonische Ausdrucksweise an entscheidender Stelle un¬
gemein sympatisch" sei. Der Grossherzog ist für die
moderne Kunst gewonnen worden, nachdem er einen
Theil des Darmstädter Schlosses nach Entwürfen von
Ashbee in London hat neu einrichten lassen, die aber
von Darmstädtern ausgeführt wurden. Diese moderne
Palasteinrichtung war eine kunstgeschichtliche That, die
nun fortwirkt. Was der Grossherzog jetzt gründet, ist
aber nicht etwa irgend etwas Kunstakademisches nach
altem Muster, sondern eine freischaffende Künstler colonie.
Keinerlei Behörden stehenr zwischen ihm und den von
ihm, berufenen Künstlern, er verkehrt persönlich mit
ihnen und ist vor allem der Wächter ihrer künstlerischen
Freiheit.
Wenn Olbrich berufen wurde, geschah es unter Be¬
dingungen, die bei uns fabelhaft klingen. Er erhält etwa
das Doppelte des Gehaltes, den ein Professor der Wiener
Akademie bezieht, und hat dafür nichts zu thun, als in
Dar m Stadt zu sein. Alles, was er macht, wird ihm
besonders bezahlt. Jene Summe soll ihm nur die Existens-
sorgen abnehmen und seinem Künstlergeist eine ideale
Freiheit des Schaffens gewähren. Der moderne Macen
sucht sein Interesse darin, dass er seinen Künstlern hilft,
ihre eigene Persönlichkeit frei zu entwickeln. Die ferste
Arbeit, die Olbrich in Darmstadt vorfindet, ist auch
gerade eine, wie er sie sich hier vergebens ersehnt hat.
Wir haben ja einmal davon gesprochen, wie er sich mit
dem Pinne einer Künstlercolonie in Hietzing trug, mit
lauter Häuschen und Ateliers für die Gesinnungsgenossen.
Es wurde nichts daraus. In Darmstadt ist er nun vor
allem beauftragt, die ganze neue Künstlercolonie zu bauen,
mit allen Häusern und Werkstätten. Einstweilen hausen
die Künstler im prächtigen alten Lustschlosse Mathilden¬
höhe bei Darmstadt, einem interessanten Barockbau nebst
Zubehör. Und was für Künstler sind es! Der Grossherzog
hat sogar Hans Christiansen in Paris gewonnen, einen
der grössten Hexenmeister im modernen Kunstgewerbe.
Dazu den Medailleur Rudolf Bosselt aus Paris, einen
Frankfurter, und den Maler Heinz Heim, einen Meister
des modernen Colorismus, den Sticker und Weber Paul
Bürck u. s. w. AberNOlbrich ist nicht etwa an den Ort
gebunden, seine Freizügigkeit ist ihm belassen, er kann
bauen, wo er will. Und die Umgebung Darmstadts sind
reiche deutsche Städte; Frankfurt, Mainz, Baden-Baden,
das ist sein Wirkungsgebiet. Die Frankfurter Millionen
werden sich von ihm etwas bauen lassen.
Die Hauptsache aber ist für ihn das fruchtbare
Zusammenleben mit freigesinnten Arbeitsgenossen. Ohne
die geräuschvollen Ablenkungen der Grosstadt, ohne
Sitzungen und andere Amtlichkeiten, in einer monumen¬
talen Stille und Sammlung sorgenlos bloss seinem Schaffen
leben zu können, das war sein Traum. Und der ist nun
verwirklicht. Aber für Wien bedeutet diese Wirklichkeit
den Verzicht auf eine seiner grössten Hoffnungen. Zwrar
hat der Künstler vorläufig bloss für drei Jahre abge¬
schlossen, aber wird er dann aus der hessischen Freiheit,
nach Wien zurückkommen wollen, wo" es für angestellte
Künstler nur systemisierte Käfige, Uniformen und er¬
bitterte Kämpfe gegen maßgebende Nichtkünstler gibt?
Ueber die Gefährlichkeit des elektrischen
Stromes
entnehmen wir der „Zeitschrift für angewandte Chemie"
folgende interessante Mittheilungen. Bei der ausserordent¬
lichen Ausdehnung, wrelche die Errichtung elektrischer
Kraft- und Lichtanlagen in den letzten Jahren genommen
hat, kann die Vermehrung der Unglücksfälle durch den
elektrischen Strom nicht Wunder nehmen. AVohl hat aber
die Beobachtung Bedenken erregt, dass Todesfälle durch
einen Strom von annähernd 120 Volt herbeigeführt wurden.
Man hatte bisher eine Wechselstromspannung von
100 Volt für absolut harmlos gehalten. Wie Versuche des
Professors Weber in Zürich an seiner eigenen Person
zeigten, werden bei feuchten Händen und 30 Volt
Spannung Finger, Hand, Handgelenk und Arm wie ge¬
lähmt, so dass ein Bewegen der Finger, Drehen der Hand,
Strecken oder Beugen des Armes nicht mehr möglich
ist, und so heftige Schmerzen in Fingern, Händen und
Armen eintreten, dass der Zustand nur 5 bis 10 Minuten
aushaltbar ist. Die Drähte können, wenn auch mit Mühe,
noch losgelassen werden. Bei 50 Volt Spannung dagegen
waren bei feuchten Händen augenblicklich alle Muskeln
der Finger, Hände und Arme temporär gelähmt, und trotz
Aufbietung aller Willenskraft konnten die Drähte nicht
mehr losgelassen werden. Die Schmerzen waren so gross,
dass der Zustand nur 1 bis 2 Secunden ausgehalten
werden konnte. Bei trockenen Händen und 90 Volt
Spannung waren erstere in demselben Augenblicke, in¬
dem die Drähte erfasst wurden, temporär gelähmt, ein
Loslassen unmöglich und der Schmerz in Händen und
Armen so gross, dass der Beobachter unwillkürlich laut
aufschrie.
Auf Grund dieser Versuche ist Weber zu dem Schlüsse
gekommen: „Das Anfassen zweier Wechselstromieitungen
mit beiden Händen von trockener Beschaffenheit bringt
Gefahren mit sich, sobald'die Spannungsdifferenz zwischen
diesen Leitungen 100 Volt übersteigt.'4 In einer Fabrik
sind innerhalb l1/2 Jahren 4 Todesfälle durch den elek¬
trischen Strom vorgekommen, bei einer Spannung von
nur 115 Volt, obschon Ingenieure dieselben Leitungen
wiederholt berührt hatten, ohne Schaden zu nehmen.
Letzterer Umstand ist vermuthlich daraus zu erklären,
dass die Beamten, in der Erwartung, einen Schlag zu
bekommen, die Drähte nur vorsichtig berührt haben und
ausserdem durch ihre trockenen Ledersohlen einiger¬
maßen isoliert waren, während die Verunglückten nach¬
weislich die Drähte fest angefasst und, da sie barfuss
giengen oder mehr oder weniger feuchte Holzschuhe
trugen, mit der Erde leitend verbunden waren. Diese