Volltext: IV. Jahrgang, 1899 (IV. JG., 1899)

Nr. 16. 
OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Seite 123. 
und Erfindungsgabe ist durch die Ausstellungen und 
mehr noch durch die reich illustrierten Fachzeitschriften, 
die V jetzt einen weiten Leserkreis haben, im ganzen Aus¬ 
lande bekannt und kann von heute auf morgen überallhin 
berufen werden. Die Talente haben jetzt einen grossen 
internationalen Markt. 
Olbrich aber stellt heute an Leistungsfähigkeit, als 
Architekt und vielseitiger Gewerbekünstler in allererster 
Reihe. Der junge Oesterreichisch-Schlesier, der unter 
Hasenauer studiert hat, aber erst an der Seite Otto 
Wagners im praktischen Bauleben seine moderne Persön¬ 
lichkeit bewähren konnte, steht heute auf gleicher Höhe 
mit Van de Velde in Brüssel, Plumet in Paris und 
Eckmann in Berlin. In München kennen wir, trotz des 
trefflichen Martin Dülfer, der den Kaim-Saal erbaut hat, 
keine moderne Kraft von dieser Ausgiebigkeit und persön¬ 
lichen Note. Der junge Grossherzog hat dies mit raschem 
Blicke erkannt und es. ist keine Phrase, wenn Olbrich 
brieflich versichert wurde, dass „gerade seine architek¬ 
tonische Ausdrucksweise an entscheidender Stelle un¬ 
gemein sympatisch" sei. Der Grossherzog ist für die 
moderne Kunst gewonnen worden, nachdem er einen 
Theil des Darmstädter Schlosses nach Entwürfen von 
Ashbee in London hat neu einrichten lassen, die aber 
von Darmstädtern ausgeführt wurden. Diese moderne 
Palasteinrichtung war eine kunstgeschichtliche That, die 
nun fortwirkt. Was der Grossherzog jetzt gründet, ist 
aber nicht etwa irgend etwas Kunstakademisches nach 
altem Muster, sondern eine freischaffende Künstler colonie. 
Keinerlei Behörden stehenr zwischen ihm und den von 
ihm, berufenen Künstlern, er verkehrt persönlich mit 
ihnen und ist vor allem der Wächter ihrer künstlerischen 
Freiheit. 
Wenn Olbrich berufen wurde, geschah es unter Be¬ 
dingungen, die bei uns fabelhaft klingen. Er erhält etwa 
das Doppelte des Gehaltes, den ein Professor der Wiener 
Akademie bezieht, und hat dafür nichts zu thun, als in 
Dar m Stadt zu sein. Alles, was er macht, wird ihm 
besonders bezahlt. Jene Summe soll ihm nur die Existens- 
sorgen abnehmen und seinem Künstlergeist eine ideale 
Freiheit des Schaffens gewähren. Der moderne Macen 
sucht sein Interesse darin, dass er seinen Künstlern hilft, 
ihre eigene Persönlichkeit frei zu entwickeln. Die ferste 
Arbeit, die Olbrich in Darmstadt vorfindet, ist auch 
gerade eine, wie er sie sich hier vergebens ersehnt hat. 
Wir haben ja einmal davon gesprochen, wie er sich mit 
dem Pinne einer Künstlercolonie in Hietzing trug, mit 
lauter Häuschen und Ateliers für die Gesinnungsgenossen. 
Es wurde nichts daraus. In Darmstadt ist er nun vor 
allem beauftragt, die ganze neue Künstlercolonie zu bauen, 
mit allen Häusern und Werkstätten. Einstweilen hausen 
die Künstler im prächtigen alten Lustschlosse Mathilden¬ 
höhe bei Darmstadt, einem interessanten Barockbau nebst 
Zubehör. Und was für Künstler sind es! Der Grossherzog 
hat sogar Hans Christiansen in Paris gewonnen, einen 
der grössten Hexenmeister im modernen Kunstgewerbe. 
Dazu den Medailleur Rudolf Bosselt aus Paris, einen 
Frankfurter, und den Maler Heinz Heim, einen Meister 
des modernen Colorismus, den Sticker und Weber Paul 
Bürck u. s. w. AberNOlbrich ist nicht etwa an den Ort 
gebunden, seine Freizügigkeit ist ihm belassen, er kann 
bauen, wo er will. Und die Umgebung Darmstadts sind 
reiche deutsche Städte; Frankfurt, Mainz, Baden-Baden, 
das ist sein Wirkungsgebiet. Die Frankfurter Millionen 
werden sich von ihm etwas bauen lassen. 
Die Hauptsache aber ist für ihn das fruchtbare 
Zusammenleben mit freigesinnten Arbeitsgenossen. Ohne 
die geräuschvollen Ablenkungen der Grosstadt, ohne 
Sitzungen und andere Amtlichkeiten, in einer monumen¬ 
talen Stille und Sammlung sorgenlos bloss seinem Schaffen 
leben zu können, das war sein Traum. Und der ist nun 
verwirklicht. Aber für Wien bedeutet diese Wirklichkeit 
den Verzicht auf eine seiner grössten Hoffnungen. Zwrar 
hat der Künstler vorläufig bloss für drei Jahre abge¬ 
schlossen, aber wird er dann aus der hessischen Freiheit, 
nach Wien zurückkommen wollen, wo" es für angestellte 
Künstler nur systemisierte Käfige, Uniformen und er¬ 
bitterte Kämpfe gegen maßgebende Nichtkünstler gibt? 
Ueber die Gefährlichkeit des elektrischen 
Stromes 
entnehmen wir der „Zeitschrift für angewandte Chemie" 
folgende interessante Mittheilungen. Bei der ausserordent¬ 
lichen Ausdehnung, wrelche die Errichtung elektrischer 
Kraft- und Lichtanlagen in den letzten Jahren genommen 
hat, kann die Vermehrung der Unglücksfälle durch den 
elektrischen Strom nicht Wunder nehmen. AVohl hat aber 
die Beobachtung Bedenken erregt, dass Todesfälle durch 
einen Strom von annähernd 120 Volt herbeigeführt wurden. 
Man hatte bisher eine Wechselstromspannung von 
100 Volt für absolut harmlos gehalten. Wie Versuche des 
Professors Weber in Zürich an seiner eigenen Person 
zeigten, werden bei feuchten Händen und 30 Volt 
Spannung Finger, Hand, Handgelenk und Arm wie ge¬ 
lähmt, so dass ein Bewegen der Finger, Drehen der Hand, 
Strecken oder Beugen des Armes nicht mehr möglich 
ist, und so heftige Schmerzen in Fingern, Händen und 
Armen eintreten, dass der Zustand nur 5 bis 10 Minuten 
aushaltbar ist. Die Drähte können, wenn auch mit Mühe, 
noch losgelassen werden. Bei 50 Volt Spannung dagegen 
waren bei feuchten Händen augenblicklich alle Muskeln 
der Finger, Hände und Arme temporär gelähmt, und trotz 
Aufbietung aller Willenskraft konnten die Drähte nicht 
mehr losgelassen werden. Die Schmerzen waren so gross, 
dass der Zustand nur 1 bis 2 Secunden ausgehalten 
werden konnte. Bei trockenen Händen und 90 Volt 
Spannung waren erstere in demselben Augenblicke, in¬ 
dem die Drähte erfasst wurden, temporär gelähmt, ein 
Loslassen unmöglich und der Schmerz in Händen und 
Armen so gross, dass der Beobachter unwillkürlich laut 
aufschrie. 
Auf Grund dieser Versuche ist Weber zu dem Schlüsse 
gekommen: „Das Anfassen zweier Wechselstromieitungen 
mit beiden Händen von trockener Beschaffenheit bringt 
Gefahren mit sich, sobald'die Spannungsdifferenz zwischen 
diesen Leitungen 100 Volt übersteigt.'4 In einer Fabrik 
sind innerhalb l1/2 Jahren 4 Todesfälle durch den elek¬ 
trischen Strom vorgekommen, bei einer Spannung von 
nur 115 Volt, obschon Ingenieure dieselben Leitungen 
wiederholt berührt hatten, ohne Schaden zu nehmen. 
Letzterer Umstand ist vermuthlich daraus zu erklären, 
dass die Beamten, in der Erwartung, einen Schlag zu 
bekommen, die Drähte nur vorsichtig berührt haben und 
ausserdem durch ihre trockenen Ledersohlen einiger¬ 
maßen isoliert waren, während die Verunglückten nach¬ 
weislich die Drähte fest angefasst und, da sie barfuss 
giengen oder mehr oder weniger feuchte Holzschuhe 
trugen, mit der Erde leitend verbunden waren. Diese
	        
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