Volltext: IV. Jahrgang, 1899 (IV. JG., 1899)

Seite 42. 
Nr. 6. 
Der Bahnbau auf die Spitze der „Jungfrau". 
Bekanntlich hat der Bau der Bahn auf die Spitze 
der „Jungfrau" reichlich Gelegenheit geboten, das „für 
und wider" genügend zu discutieren, und wenn auch die 
Entscheidung im günstigen Sinne für das Unternehmen 
ausgefallen ist, so beweist das noch lange nicht, dass die 
Benützung der Bahn für den Touristen gefahrlos sei. 
Von den Freunden des Unternehmens wird als Argument 
immer angeführt, dass ja schon eine ganze :Strecke der 
Bahn fertiggestellt sei, und dass man beim Baue derselben 
durchaus keine unüberwindlichen Schwierigkeiten ge¬ 
funden habe. Auch seien die Gesundheits Verhältnisse unter 
den Arbeitern durchaus befriedigende gewesen, sodass 
wohl anzunehmen sei, dass auch dem Touristen, welcher 
später die Bahn benützen würde, keine ernstlichen Ge¬ 
fahren für sein Wohlbefinden erwüchsen. 
Dem gegenüber aber ist es. wie das Internationale 
Patentbureau Carl Fr. Reichelt, Berlin NW. 6, mittheilt, 
zu berücksichtigen, dass die fertiggestellte Strecke bis 
Biger-Gletscher am leichtesten zu bauen ist und dass auf 
ihr nur ein einziger kurzer Tunnel zu treiben war, während 
fast der ganze übrige Bahnkörper auf mit Rasen be¬ 
wachsenen Abhängen liegt. Dass die Arbeitsleistungen 
der an der Bahnlinie beschäftigten Italiener sich nicht 
wesentlich von denen unterschieden haben, die man ge¬ 
wöhnt ist, von denselben in Steinbruch- oder Gruben¬ 
betrieben zu erwarten, ist ganz erklärlich, denn die Höhe 
des Eiger-Gletschers über dem Meeresspiegel ist noch 
nicht derartig, als dass sich die Folgen der dünneren 
Luft schon merklich äussern sollten. Sind aber einmal 
Höhen von 3000 Metern erreicht, so wird sich ohne 
Zweifel die Arbeitsleistung der Leute wesentlich ver¬ 
ringern. Den Beweis dafür liefern die Verhältnisse in den 
Cordilleren Süd-Amerikas. Jeder Arbeiter, welcher nicht 
in der Cordillère selbst geboren und daher vollständig 
akklimatisiert ist, braucht eine ziemlich lange Zeit, ehe 
sich seine Lungen derartig an die dünnere Luft gewöhnt 
haben, dass sie die bei der Arbeit nöthige lebhaftere 
Sauerstoffzufuhr bewältigen können, und wenige Europäer 
sind so akklimatisiert, dass sie dieselbe Arbeit leisten 
können, wie an der Küste. 
Es ist unzweifelhaft richtig, dass der Gesundheits¬ 
zustand der bei der Jungfraubahn verwendeten Arbeiter 
ein zufriedenstellender gewesen ist. Hätte man aber die¬ 
selben z. B. täglich aus dem Thale hinauf gebracht, nach 
ihren Arbeitsstätten und nach Beendigung der Arbeit 
wieder zurück, so würden sich sofort die Verhältnisse, 
anders gestaltet haben und Störungen, in der Herz- 
thätigkeit namentlich, wären die Folgen gewesen, und 
gerade darin liegt das Bedenkliche des ganzen Unter¬ 
nehmens. 
Bekanntlich soll die Auffahrt auf den Berggipfel in 
etwa 40 Minuten gemacht werden, es ist aber vollständig 
unmöglich, dass sich Lunge und Herz in dieser kurzen 
Zeit den veränderten Luftdruckverhältnissen anpassen. 
Man beabsichtigt zwar, verschiedene Zwischenstationen 
auf der Linie einzurichten, in denen der Passagier die 
Fahrt unterbrechen und so allmählich den Körper an die 
veränderten Verhältnisse gewöhnen kann. Es ist aber 
sehr zu bezweifeln, ob der Aufenthalt von einigen Stunden 
selbst einer robusten Natur das Anpassen ermöglicht. 
Man hätte vor allem die, bei den südamerikanischen 
Bahnen, welche die Cordilleren überschreiten, gemachten 
Erfahrungen in Erwägung ziehen sollen. 
Die Bahn von Oroya in Peru überschreitet die Anden¬ 
kette in etwa 4500 Meter Höhe und man braucht von 
der Küste bis zur Passhöhe etwa 7 Stünden. Gering aber 
ist die Zahl der Personen, welche die Fahrt auf einmal 
vollenden. Die meisten bleiben auf einer in etwa 2000 Meter 
Höhe gelegenen Zwischenstation zurück, um erst nach 
einem Aufenthalte von mehreren Tagen, in denen sich 
der Körper an die veränderten Verhältnisse einigermassen 
gewöhnt hat, die Reise fortzusetzen. Und selbst dann 
noch tritt bei den meisten Personen der unter den Namen 
„Sorroche" bekannte Krankheitszustand beim Passieren 
der Passhöhe ein. Derselbe äussert sich vor allem durch 
Atliembeschwerden, erhöhte Herzthätigkeit, Ohrensausen 
und Mattigkeit in den Gliedern. Nicht selten tritt sogar Blut 
aus Mund und Ohren aus. Der von dieser Krankheit 
Befallene ist vollständig unfähig, eine grössere körper¬ 
liche Anstrengung auszuführen und viele Personen sind 
nicht einmal imstande, zu gehen. Der Krankheitszustand 
verschwindet sofort, wie der Kranke wieder unter normale 
Luftdruckverhältnisse kommt. 
Wenn sich nun dort diese Schwierigkeiten gezeigt 
haben, wo der Reisende in mehreren Stunden erst und 
möglicherweise sogar mit Unterbrechungen diese Höhe 
erreicht, so ist doch wohl anzunehmen, dass bei dem 
verhältnismässigen sehr schnellen . Aufstieg auf die 
„Jungfrau" sich diese Erscheinungen in erhöhtem Maße 
zeigen werden. Selbst wenn, wie es ja projectiert ist, am 
Ausgangspunkte der Bahn ein Arzt zur Verfügung der 
Touristen stehen soll, welcher nach Untersuchung des 
Gesundheitszustandes die Fahrt erlauben oder verbieten 
soll, so wird dadurch an der allgemeinen Sachlage wenig 
geändert. Selbst von dem Arzte zur Reise zugelassene 
Personen werden, wenn sie den Gipfel erreichen, in einer 
Verfassung sein, die sie jedenfalls, dip Schönheiten des 
Panoramas nicht gemessen lässt und die wahrscheinlich 
nur den einen Wunsch in ihnen wachrufen wird, sobald 
als nur irgend möglich wieder im Thale angelangt zu 
sein. Es ist daher kaum anzunehmen, dass die Bahn, 
selbst wenn sie vollendet würde, eine den aufgewendeten 
Capitalien entsprechende Einnahme erzielen wird. L. H\ 
Die Ausdrucksweise der Technik. 
Bei jeder neuen Erfindung, die eine praktische Ver¬ 
wendung zulässt, ergibt sich naturgemäss auch die Not¬ 
wendigkeit, einen passenden Namen für dieselbe zu finden, 
wenn der betreffende Gegenstand ein absolut neues, noch 
durch keine Classe ähnlicher Dinge vertretenes Object 
darstellt. Indem eine jede Sprache nur solche Worte 
aufweist, die eben einen vorhandenen Begriff' darstellen, 
so ist die Schaffung neuer Bezeichnungen für neue Dinge 
eine unüberwindliche Nothwendigkeit. Da es nun nicht 
gut angeht, solche Worte ganz willkürlich einfach durch 
Combination von Lauten neu zu bilden, so hilft man sich 
in verschiedenerWeise, um dem neuen Producte zu einem 
Namen zu verhelfen. Wo es sich um Gegenstände handelt, 
die durch Schallschwingungen auf uns einwirken, müssen 
häufig die Nachahmungen des betreffenden Klanges den 
Namen abgeben; es sei hier beispielsweise an das „Tam¬ 
tam" der Wilden, oder auch an das glücklicherweise bald 
verstummte „Cri-cri" der Franzosen erinnert; ebenso 
dürften die Worte Klingel, Schelle und viele andere Be¬ 
zeichnungen für tönende Körper solche „Anklänge" dar¬ 
stellen.
	        
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