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Nr. 6.
Der Bahnbau auf die Spitze der „Jungfrau".
Bekanntlich hat der Bau der Bahn auf die Spitze
der „Jungfrau" reichlich Gelegenheit geboten, das „für
und wider" genügend zu discutieren, und wenn auch die
Entscheidung im günstigen Sinne für das Unternehmen
ausgefallen ist, so beweist das noch lange nicht, dass die
Benützung der Bahn für den Touristen gefahrlos sei.
Von den Freunden des Unternehmens wird als Argument
immer angeführt, dass ja schon eine ganze :Strecke der
Bahn fertiggestellt sei, und dass man beim Baue derselben
durchaus keine unüberwindlichen Schwierigkeiten ge¬
funden habe. Auch seien die Gesundheits Verhältnisse unter
den Arbeitern durchaus befriedigende gewesen, sodass
wohl anzunehmen sei, dass auch dem Touristen, welcher
später die Bahn benützen würde, keine ernstlichen Ge¬
fahren für sein Wohlbefinden erwüchsen.
Dem gegenüber aber ist es. wie das Internationale
Patentbureau Carl Fr. Reichelt, Berlin NW. 6, mittheilt,
zu berücksichtigen, dass die fertiggestellte Strecke bis
Biger-Gletscher am leichtesten zu bauen ist und dass auf
ihr nur ein einziger kurzer Tunnel zu treiben war, während
fast der ganze übrige Bahnkörper auf mit Rasen be¬
wachsenen Abhängen liegt. Dass die Arbeitsleistungen
der an der Bahnlinie beschäftigten Italiener sich nicht
wesentlich von denen unterschieden haben, die man ge¬
wöhnt ist, von denselben in Steinbruch- oder Gruben¬
betrieben zu erwarten, ist ganz erklärlich, denn die Höhe
des Eiger-Gletschers über dem Meeresspiegel ist noch
nicht derartig, als dass sich die Folgen der dünneren
Luft schon merklich äussern sollten. Sind aber einmal
Höhen von 3000 Metern erreicht, so wird sich ohne
Zweifel die Arbeitsleistung der Leute wesentlich ver¬
ringern. Den Beweis dafür liefern die Verhältnisse in den
Cordilleren Süd-Amerikas. Jeder Arbeiter, welcher nicht
in der Cordillère selbst geboren und daher vollständig
akklimatisiert ist, braucht eine ziemlich lange Zeit, ehe
sich seine Lungen derartig an die dünnere Luft gewöhnt
haben, dass sie die bei der Arbeit nöthige lebhaftere
Sauerstoffzufuhr bewältigen können, und wenige Europäer
sind so akklimatisiert, dass sie dieselbe Arbeit leisten
können, wie an der Küste.
Es ist unzweifelhaft richtig, dass der Gesundheits¬
zustand der bei der Jungfraubahn verwendeten Arbeiter
ein zufriedenstellender gewesen ist. Hätte man aber die¬
selben z. B. täglich aus dem Thale hinauf gebracht, nach
ihren Arbeitsstätten und nach Beendigung der Arbeit
wieder zurück, so würden sich sofort die Verhältnisse,
anders gestaltet haben und Störungen, in der Herz-
thätigkeit namentlich, wären die Folgen gewesen, und
gerade darin liegt das Bedenkliche des ganzen Unter¬
nehmens.
Bekanntlich soll die Auffahrt auf den Berggipfel in
etwa 40 Minuten gemacht werden, es ist aber vollständig
unmöglich, dass sich Lunge und Herz in dieser kurzen
Zeit den veränderten Luftdruckverhältnissen anpassen.
Man beabsichtigt zwar, verschiedene Zwischenstationen
auf der Linie einzurichten, in denen der Passagier die
Fahrt unterbrechen und so allmählich den Körper an die
veränderten Verhältnisse gewöhnen kann. Es ist aber
sehr zu bezweifeln, ob der Aufenthalt von einigen Stunden
selbst einer robusten Natur das Anpassen ermöglicht.
Man hätte vor allem die, bei den südamerikanischen
Bahnen, welche die Cordilleren überschreiten, gemachten
Erfahrungen in Erwägung ziehen sollen.
Die Bahn von Oroya in Peru überschreitet die Anden¬
kette in etwa 4500 Meter Höhe und man braucht von
der Küste bis zur Passhöhe etwa 7 Stünden. Gering aber
ist die Zahl der Personen, welche die Fahrt auf einmal
vollenden. Die meisten bleiben auf einer in etwa 2000 Meter
Höhe gelegenen Zwischenstation zurück, um erst nach
einem Aufenthalte von mehreren Tagen, in denen sich
der Körper an die veränderten Verhältnisse einigermassen
gewöhnt hat, die Reise fortzusetzen. Und selbst dann
noch tritt bei den meisten Personen der unter den Namen
„Sorroche" bekannte Krankheitszustand beim Passieren
der Passhöhe ein. Derselbe äussert sich vor allem durch
Atliembeschwerden, erhöhte Herzthätigkeit, Ohrensausen
und Mattigkeit in den Gliedern. Nicht selten tritt sogar Blut
aus Mund und Ohren aus. Der von dieser Krankheit
Befallene ist vollständig unfähig, eine grössere körper¬
liche Anstrengung auszuführen und viele Personen sind
nicht einmal imstande, zu gehen. Der Krankheitszustand
verschwindet sofort, wie der Kranke wieder unter normale
Luftdruckverhältnisse kommt.
Wenn sich nun dort diese Schwierigkeiten gezeigt
haben, wo der Reisende in mehreren Stunden erst und
möglicherweise sogar mit Unterbrechungen diese Höhe
erreicht, so ist doch wohl anzunehmen, dass bei dem
verhältnismässigen sehr schnellen . Aufstieg auf die
„Jungfrau" sich diese Erscheinungen in erhöhtem Maße
zeigen werden. Selbst wenn, wie es ja projectiert ist, am
Ausgangspunkte der Bahn ein Arzt zur Verfügung der
Touristen stehen soll, welcher nach Untersuchung des
Gesundheitszustandes die Fahrt erlauben oder verbieten
soll, so wird dadurch an der allgemeinen Sachlage wenig
geändert. Selbst von dem Arzte zur Reise zugelassene
Personen werden, wenn sie den Gipfel erreichen, in einer
Verfassung sein, die sie jedenfalls, dip Schönheiten des
Panoramas nicht gemessen lässt und die wahrscheinlich
nur den einen Wunsch in ihnen wachrufen wird, sobald
als nur irgend möglich wieder im Thale angelangt zu
sein. Es ist daher kaum anzunehmen, dass die Bahn,
selbst wenn sie vollendet würde, eine den aufgewendeten
Capitalien entsprechende Einnahme erzielen wird. L. H\
Die Ausdrucksweise der Technik.
Bei jeder neuen Erfindung, die eine praktische Ver¬
wendung zulässt, ergibt sich naturgemäss auch die Not¬
wendigkeit, einen passenden Namen für dieselbe zu finden,
wenn der betreffende Gegenstand ein absolut neues, noch
durch keine Classe ähnlicher Dinge vertretenes Object
darstellt. Indem eine jede Sprache nur solche Worte
aufweist, die eben einen vorhandenen Begriff' darstellen,
so ist die Schaffung neuer Bezeichnungen für neue Dinge
eine unüberwindliche Nothwendigkeit. Da es nun nicht
gut angeht, solche Worte ganz willkürlich einfach durch
Combination von Lauten neu zu bilden, so hilft man sich
in verschiedenerWeise, um dem neuen Producte zu einem
Namen zu verhelfen. Wo es sich um Gegenstände handelt,
die durch Schallschwingungen auf uns einwirken, müssen
häufig die Nachahmungen des betreffenden Klanges den
Namen abgeben; es sei hier beispielsweise an das „Tam¬
tam" der Wilden, oder auch an das glücklicherweise bald
verstummte „Cri-cri" der Franzosen erinnert; ebenso
dürften die Worte Klingel, Schelle und viele andere Be¬
zeichnungen für tönende Körper solche „Anklänge" dar¬
stellen.