Volltext: Illustrierte Kriegsbeilage Nr. 18 1917 (Nr. 18 1917)

Sonntag, 6. War 
Büchern bewundernd seltnen gelernt hatte. Wie gern „Nun, ich weine, wenn jemand einen schönen, 
hätte er, ein treffsicherer Schütze, weidgerecht ein edles großen Wald mit vielen Kosten einzäunt, Tier und 
Wild erlegt! Doch schon der Gedanke an den Knall Pflanze nach Belieben darin leben und wachsen läßt, 
des Gewehres, der ihn vielleicht verraten konnte, nahm ohne aus Wild und Forst Nutzen zu ziehen, bloß um 
ihm alle Freude.. So war es iit seinem Leben dabei einen — wie heißt doch das Wort — einen Natur. . 
geblieben, daß er Hasen in der Schlinge fing. schütz. . . park zu besitzen. Ist das nicht närrisch?" 
Bei den Bauern machte ihn diese Tätigkeit keines- „Ich kann die Liebhaberei verstehen. Tut er doch 
Wegs unbeliebt; denn jeder kaufte sich gern bei ihm auch ein gutes Werk, wenn er den von Menschen überall 
billig einen Hasen. Jeder beruhigte sein Gewissen verfolgten und bedrohten Tieren Bäumen und Blumen 
damit, daß der reiche Städter, der die Waldhofer Jagd eine Zuflucht schafft, wo sie ihr Leben fristen, ihre 
gepachtet hatte, für den Pachtzins noch, genug Hasen Jungen ungefährdet groß ziehen können, und . . ." 
erlegen könne. Gerhard brach plötzlich ab; er bereute gerade jenem 
Gerade nun aber diese Sicherheit seines Unter- gegenüber seine-Gesprächigkeit, als er die Worte heraus 
nehmens und dazu das eintönige Hafenfangen schafften hatte. 
zu Hasenjörgs Leidwesen den großen Abstand zwischen „Ganz schön", meinte der andere; „aber kein 
seinen Taten und denen eines echten Wilderers. Zeit- Mensch hat etwas davon. Der Graf selbst wohnt in der 
lebens hatte er deshalb auf Ausführung einer großen Großstadt und kommt alljährlich nur auf ein paar Tage 
Wilderertat gesonnen; aber immer waren die Bedenken zum Besuch hierher. Und damit die Tiere nicht gestört 
gekommen. Auch heute hatte er solch einen Entschluß werden, soll ja niemand anders den Schutzpark betreten 
gefaßt, und nun machte ihn gleich schon der Anfang dürfen. Selbst dem Förster soll es ja verboten sein, 
seines Unternehmens bedenklich Er erschrak deshalb täglich überall hinzugehen." 
auch jetzt, als Gerhard ihn unvermittelt fragte, was er „Mag sein", sagte Gerhard so hin, als wüßte er 
- das nicht. 
, v. : .. -r > Und doch wußte er es ganz genau. Er 
gehörte zu den Glücklichen — denn glücklich 
” ■ so fuhr er nach einer Weile fort: „Und dann 
sagt man, sei im Park ein unheimliches Tier." 
Aus den Worten klang abergläubische Fu cht. 
„Ein wildes Tier vom Aussehen eines Stiers, 
vorhabe. „Zu meinem Schwager nach Gründvrf", kam es jedoch sechsbeinig." 
zögernd und verlegen heraus; „das Bündel Weiden- „Ja, das habe ich auch gehört", bestätigte Gerhard 
ritten . . hier unter meinem Arm . . will ich ihm trocken. 
bringen ... für seine Erbsen." Man hörte es den „Und die mittelsten beiden glichen Menschen* 
Worten an: sie warenZzelvgen. deinen; auf denen gehe es gewöhnlich, um die andern 
Auf des Hasenjörgs Gegenfrage antwortete Ger- Beine für seine wütenden Angriffe ztt schonen." 
hard, indem er auf seine umgehängte Ledertasche wies, „Ja, ja, so was muß es schon sein", wieder trocken 
er wolle Tieraufnahmen iutj Walde mächen. und selbstverständlich. 
„Im Waldhofer Holz?"," fragte der Jörg. - „Die Krugwirtin hat das gefährliche Vieh mit 
„Wo sich eine gute Gelegenheit bietet", antwortete eigenen Augen im Park am Zaune stehen sehen." 
Gerhard. „Ich zweifle nicht daran," 
Schweigend wanderten sie auf einem weichen Durch Gerhards selbstverständliches Zustimmen war 
Feldrain. Aus dem Dunkel über den Aeckern tönte das der Hasenjörg enttäuscht: er hatte eigentlich gehofft, 
einsame Lied einer Lerche; im Osten ward der Himmel wegen der Geschichte mit dem sechsbeinigen Stier aus¬ 
schon lichter. gelacht zu werden; denn er hatte selbst noch immer 
Das erste Erwachen des Tages fesselte unsern jungen nicht so recht daran glauben wollen. Nun gab es für 
Freund; den Hasenjörg beschäftigten unaufhörlich die ihn keinen Zweifel mehr: der Stier war tatsächlich im 
Gedanken an sein Vorhaben. Dabei fiel dem Alten Park vorhanden; der kluge Stadtschüle: wäre sonst 
das Gerede der Leute ein, Gerhard besuche öfters den schon durch seinen Vater, den verständigen Waldhofer 
Schutzpark. Und so beschloß er, Ihn auszuhorchen. Lehrer, eines andern belehrt worden. Der Hasenjörg 
Vielleicht konnte er Nützliches für sein Unternehmen er- fühlte es, alles hatte sich gegen sein Unternehmen ver¬ 
fahren. schworen. — 
„Sagen Sie mal, Herr Gerhard", nahm er das Inzwischen waren sie an die Stelle"gelangt, wo sich 
Gespräch auf, „der Graf ist wohl ein wunderlicher Herr?" die Wege zu den, Zielen, die sie einander angegeben 
„Wieso?" hatten, trennten. Gerhard nahm den linken, den nach 
X)er Schutzpark? 
Vom Waldhofer Kirchturm her unterbrachen drei 
müde Glockenschläge den Nachtfrieden des in sternen¬ 
klarer Maiennacht schlummernden Dorfes. .— Dann 
herrschte wieder Stille. 
. Doch nicht lange mehr währte die Ruhe: am Lehrer- 
häus öffnete sich sacht die Tür, und gleich danach hall¬ 
ten: flinke Schritte eines jungen Burschen durch die 
Dorfstraße. 
Die Schritte stockten: vor dem Burschen tauchte 
aus dem Dunkel eine Gestalt auf, die vergeblich versucht 
hatte, sich vor ihm zu verbergen. 
„Ah . . . guten Morgen. . . Gerhard", begrüßte der 
aus dem Dunkel Hervorgetretene den Jungen. Die 
Worte klangen verlegen. 
„Ihr seid's ... Hasenjörg", lachte der Begrüßte. 
„Ich hatte Euch gar nicht erkannt." 
Beide gingen, über das nächtliche Zusammen¬ 
treffen in Gedanken versunken, schweigend neben¬ 
einander her. 
Der Hasenjörg fühlte sich besonders betroffen: 
eben noch war er stolz auf sein Vorhaben in 
einer Haltung dahingeschritten, als drücke ihn —— 
nicht schon das Alter, und nun hatte das bloße 
Erscheinen dieses jungenMenschenseineWillens- 
kraft gelähmt. Bedauernd stellte er fest: zum 
Vollbringen einer Tat, wie sie ihm vorschwebte, 
war er nicht geschaffen. 
Dieser Gedaukengang, der immer wieder-. 
kehrende, traurigste seines Lebens, veranlaßte 
ihn jetzt, das Gespräch aufzunehmen. 
„Junger Herr", sagte er in fast bittendem 
To», „Ihr besucht doch die hohen Klassen der 
Stadtschule; Ihr solltet den Namen nicht mehr 
brauchen." 
„Welchen Namen denn? ... Ach so!" 
„Jörg könnten Sie mich ja weiter nennen; 
aber mit den Hasen, wissen Sie. . . ." 
„Sehr gern, wenn Euch daran gelegen 
ist", entschuldigte sich Gerhard, „ich habe das 
aus alter Gewohnheit wie alle anderen im 
Dorfe so hingesagt, ohne mir was dabei zu | 
denken." 0 
„Glaub's schon", seufzte der Alte, „mein -g* 
Leben lang habe ich ja den Spitznamen mit jjjg| 
mir herumgeschleppt, von jener Zeit an, wo W» 
ich als junger Kerl einmal einen Krummen W» 
— ich meine einen Hasen — gefangen hatte Hg 
und dafür drei Tage abbrummen mußte." *11 
„Schon gut, wo Ihr den Wunsch aus- «W 
gesprochen habt." ' 
„Uebrigens, seit Jahren habe ich keinem Ausbildung von Zeppelinmannlchaften am Schulschiff „Kansa“ 
Krummen mehr das Genick gebrochen; wahr¬ 
haftig." 
Gerhard antwortete nicht: er durchschaute den 
andern und wollte ihn nicht kränken. Wörtlich genom¬ 
men mochte des Hasenjörgs Schwur wahr sein, wollte 
er aber damit beschwören, daß er seit Jahren keinem 
Hasen mehr den Garaus gemacht, so war das die Un¬ 
wahrheit. Denn der Alte war —■ ein Wilddieb. 
Int ganzen ein gutmütiger Kerl, half er den Leuten 
im Dorf als Gelegenheitsarbeiter aus, sobald mal. ein 
Knecht erkrankt war, oder wenn eine Arbeit vorlag, 
die außergewöhnliche Handfertigkeit oder Geschicklich¬ 
keit erforderte. Dann arbeitete er fleißig und willig 
gegen niedrigen Lohn und war von jedermann gern 
gesehen. Fehlte es ihm aber an solcher Arbeit, so packte 
ihn ein unwiderstehlicher Drang zum Wildern. Hierin 
lag für ihn das traurige Verhängnis seines Lebens. 
Nicht daß ihm das Gesetzwidrige seines Treibens das 
Gewissen beschwert hätte — dazu war er zu sehr mit 
Leib und Seele Wilddieb; nein, zeitlebens hatte er es 
erfahren, daß bei ihm Verstand, Willenskraft und Mut 
nicht im richtigen Verhältnis zu seiner Jagdleidenschaft 
standen: er fühlte sich nicht als Wilddieb von Schrot 
und Korn, so wie er ihn als todesmutigen Helden in 
*} Mit gütigerMlaubnis: des Verlage« K. Thienemann in Stuttgart 
dem „Waldhof" (Geschichten seiner Freunde und Feinde) von Julius Lerche 
entnommen. Das mit 8 farbigen und 40 schwarzen Bildern nach Originalen 
von Fritz Lang geschmückte Buch kostet 4 Mark 50 Pfennig.
	        
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