Volltext: Nr. 77 (77. 1920)

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Jüdische Nachrichten 
Nr. 77 
Verlobung. Herr Siegfried Fried hat sich mit Frl. 
Flsa Hartmann aus Ruppau verlobt. 
Promotion. Hörr Hugo Adler, ein Bruder der Frau 
Ida Kafka in Linz, wurde am 13. Dezember an der 
deutschen Universität in Prag zum- Doktor der gesamten 
Heilkunde promoviert. 
Steyr. 
In diesen Tagen feiert in S t e y r in aller Stille Otto 
Bernhardt Popper seinen 50. Geburtstag. Er ist in 
weiten Kreisen als Verfasser von Arbeiter- und Volks¬ 
stücken bekannt geworden. Seine bisherigen Werke 
„Freiheitsdrang", „Die Rechtlosen", „Das Warenhaus- 
fraulem", „Die Postkartenfrieda", „So sind die Men¬ 
sehen", „Heimatlos" wurden am Rosetheater, Zentral¬ 
theater, Berlin, Skalatheater Breslau, Volkstheater, 
Nürnberg, Schillertheater, Altona, aufgeführt. Durch die 
dem „Warenhausfräulein'' zugrunde liegende Tendenz 
verlor Popper seine Stellung im Warenhause Tiez und 
eine Widmung für die Märzgefallenen auf einer 
Kranzschleife trug ihn die Ausweisung aus Berlin ein. 
Die Bauernkomödie „Heimatlos" war bis* vor kurzem in 
ganz Preußisch-Schlesien verboten. Am. 14. Dezember 
ging am Stadttheater in Steyr sein neue'stes Werk „Der 
fesche Rudi" in Szene, wozu der Musikdirektor Leopold 
Albrecht aus Wels die Musik schrieb. Es is,t zu hoffen, 
daß Popper, der sich gegen zahlreiche Widerstände durch¬ 
gerungen hatte, einen vollen Erfolg hat. 
* * 
* 
Sonntag, den 12. Dezember, fand im Tempel eine 
interne Veranstaltung anläßlich Chanukkah statt, 
Oberhollabrunn. 
Am 27. November fand hier zürn erstenmal ein Ball 
unter dem Namen „Ghanukka"-Ball statt, welcher zur 
Folge hatte, daß unter der hiesigen Judenschaft zwei 
„Parteien" entstanden. Die eine Partei unter Führung 
des- Kultus Vorstandes Wilhelm Breier fürchtete das 
Ärgste und trachtete den Ball auf jeden Fall zu ver¬ 
eiteln. Da dies nicht gelingen wollte, wurde sogar an den 
Bezirkshauptmann das Ersuchen gestellt, den Ball „im 
Interesse der öffentlichen Sicherheit" zu verbieten. Trotz 
all dieser Bemühungen verlief der Ball wieder aller Er¬ 
warten sehr schön. Am. 3. Dezember brachten die 
„Deutsch-völkisch-radikal-antisemitischen Oberhollabrun- 
ner Nachrichten" zur nicht geringen Überraschung der 
Israeliten einen Bericht über den Ball und bringen wir 
des Interesses wegen diesen Bericht auszugsweise wieder. 
„B a 11. Am 27. v. M. fand in Eßls Lokalitäten der 
des längeren schon angekündigt Ball der Juden Ober- 
hollabrunns statt und wurde derselbe — wie übrigens 
vorauszusehen war — in keiner Weise von arischen Krei¬ 
sen gestört. Eine eventuell für einen solchen Fall bereit- 
gehaltene Schutzwache, wie deren im „Wochenblatte" 
erwähnt wurde, hätte gegebenenfalls keinesfalls genügt, 
um eine Störung zu verhindern, sondern nur arischem 
Takte und Feingefühl ist es zu verdanken, daß dieser Ball 
unbelästigt weiterging. Wozu aber auch eine Störung 
der Bestreburxgen der Juden, mit welchen sie ihr jüdisch¬ 
nationales Empfinden ungeseheut an den Tag legen? Die 
Juden sind ebenso eine eigene Rasse, wie es die anderen 
Völker sind, und so erbärmlich es ist, wenn das Kind 
deutscher Eltern sich als Angehöriger einer fremden 
Rasse bekennt, ebenso erbärmlich ist es, wenn ein: Jude 
behaupten will, er sei ein Deutscher, Ungar, Tscheche 
usw. Darum all jenen ein kräftig „jüdisch Heil", welche 
am 27. v. M. ehrlich und offen als Angehörige der 
jüdischen Nation bekannt haben, und der Besuch des 
Balles aus arischen Kreisen soll als Beweis gelten, daß 
solche Bestrebungen des Judentums in Österreich volle 
Anerkennung gefunden haben." 
g~ § Feuilleton. § g 
Kirjat Anawim. 
Die erste Gartenstadt Palästinas. 
Von Davis Trietsch, zurzeit in Palästina. 
Kirjat Anawim (arabisch Dilb) heißt ein in der Nähe 
von Jerusalem gelegener Ort, auf dem die größte bis jetzt 
arbeitende Chaluzimgruppe von rund zweihundert Mann 
mit der Wiederherstellung der alten Terrassenanlage 
beschäftigt ist. Es wird hier eine Arbeit geleistet, die 
sogar die bisher von mir verlangte Intensität in unserem 
Kolonialwesen übersteigt. Der Boden, ungefähr 160 
Hektar, wurde 1914 durch die Palestine Land Develop¬ 
ment Company erworben und ist vor einigen Monaten in 
den Besitz des Nationalfonds gelangt. Ein weit größeres 
Grundstück, das an Dilb grenzt, wird demnächst zu Dilb 
geschlagen. Augenblicklich arbeiten dort 190Chaluzim, die 
damit beschäftigt sind, zunächst von der Chaussee eine 
3% Meter breite Zufahrtstraße zu den Feldern zu bauen, 
die in den nächsten Wochen mit Gemüse und Futter¬ 
pflanzen besät werden. An der Straße sitzen junge Leute 
und junge Mädchen und behauen lustig die Steine, was 
manchen erstaunen* wird, wenn man berücksichtigt, daß 
viele von ihnen Akademiker sind. 
Die gute Stimmung erklärt sich zum Teil dadurch, 
daß die Arbeit an eine Kwuzah vergeben wurde, deren 
Mitglieder den Lohn unter sich nach einem vereinbarten 
Schlüssel verteilen, Vorarbeiter und Aufseher selbst 
wählen und den ganzen Betrieb selbst führen. Hier ist 
die Frage gelöst worden, wie die Lohnarbeit mit einer 
Selbstbestimmung der Arbeiter zu vereinigen ist. Es ist 
eine der schönsten Leistungen unseres Volkes, glückliche 
Lösungen des sozialen Gedankens bei dem Wiederaufbau 
des alten Heims zu finden. Allerdings ist es sehr traurig, 
daß diese prachtvollen Menschen die Steine mit den 
Händen statt mit Maschinen behauen «müssen. Wenn 
man aber gewartet hätte,, bis Maschinen eingetroffen sind, 
so wäre ein ganzes Jahr vergangen, während diese Arbeit 
noch vor dem ersten Regen fertiggestellt werden muß. 
Die Hauptarbeit in Dilb ist aber nicht der Straßenbau, 
sondern die Renovierung der alten Terrassen. Hier ver¬ 
suchen Juden zum erstenmal, durch jüdische Hände die 
alten Terrassen und ihre Kulturen in großem Maßstabe 
wiederherzustellen, die in alten Zeiten das ganze Land 
bedeckten. Es sind bereits jetzt große Flächen mit Ter¬ 
rassen bedeckt worden, die nur auf den ersten Regen 
warten, um bestellt zu werden. Auf einem besonderen 
Platze der zukünftigen Gartenstadt, von der aus eine 
prachtvolle Aussicht auf die gebirgige Umgebung sich 
bietet, werden nach einem besonderen Plane Straßen und 
Wege gebaut, Parks und Ziergärten angelegt, die im 
ganzen ein Drittel der zukünftigen Stadt einnehmen 
werden. Die nächstgelegenen Terrassen werden mit Bäu¬ 
men beforstet, die außer Brennholz auch noch eine Art 
Beeren geben.
	        
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