Volltext: Nr. 62 (62. 1920)

Jüdische Nach rich teil 
3fr. 62 
dischen Blattes und seines Korrespondenten sämt¬ 
liche „Anklagen" entkräften mögen, aber im Lande 
Arpads. steht das Wort eines verächtlichen Spitzels höher 
als Gerechtigkeit. Der wehrlose Greis ist ihnen nur im 
Kerker sicher genug und auf die Stimme des Welt¬ 
gewissens hört das cJiristliehuatiomile Ungarn nicht. 
Ethrog. Die jüdischen Kolonisten Palästinas haben 
sich kürzlich zu einem korporativen Verband unter dem 
Namen „Ethrog" vereinigt, um den Bedarf des Ethrogim 
für Palästina, wie auch für diet Diasporaländer zu decken. 
Der Verband versichert, daß alle Arbeiten — mit der 
Pflanzung der Bäume angefangen, bis zur Verpackung 
der Ethrogim — ausschließlich von jüdischen Arbeits¬ 
kräften veTrichtet werdeni. 
Auswanderung nach Argentinien. Die kommende 
Einwanderung nach Palästina wird sich trotz aller mög¬ 
lichen; Erleichterungen und Einrichtungen anfänglich in 
verhältnismäßig sehr bescheidenem Umfang abspielen 
können. Der Drang, der nur allzu erklärlich viele Juden 
beseelt, ihre bisherigen Wohnländer so bald als möglich 
zu verlassen, wird daher von Palästina zum größeren 
Teil abgeleitet werden müssen. 
Diesem richtigen Gedanken zufolge haben sich be¬ 
reits in den verschiedenen überseeischen Ländern Ver¬ 
eine und. Komitees gebildet, welche die Einwanderung 
in diese Länder erleichtern und fördern sollen. 
Die Erfreuliche Initiative unserer Volksgenossen in 
Argentinien hat gleichfalls einen „Verein zum Schutze 
jüdischer Einwanderer in Argentinien" gegründet und 
versendet von Buenos Aires ein deutsches und 
hebräisches Zirkular, welches erläuternd auf die Zwecke 
des Vereines eingeht. 
Wir geben den wichtigsten Teil aus diesem Schrei¬ 
ben wiedler: * 
Die ökonomiische Lage in Argentinien ist augen¬ 
blicklich eine solche, die gut genannt werden kann, und 
wir glauben, daß Handwerker und Landarbeiter hier 
leicht eine Beschäftigung finden können; immer aber, 
wenn man nur mit einer bescheidenen Forderung und 
mit etwas Geld für die ersten Monate hieher kommt. 
^ as die freien Berufe anbetrifft und Handelsangestellte, 
ist es ratsam, die spanische Sprache zu erlernen, um hier 
Beschäftigung zu finden. 
Hierzu müssen wir folgendes bemerken; 
Nachfolgend dem! Beispiele anderer Länder, den 
Eintritt ruhestörender Elemente befürchtend, erließ die 
argentinische Regierung einige sehr strenge Vor¬ 
schriften, die vom Emigranten, der nach Argentinien 
reisen will, gut beachtet werden müssen. 
Jeder Einwanderer muß besorgt sein, sich mit fol¬ 
genden Dokumenten zu versehen, da ohne diese ihm das 
Ausschiffen unmöglich ist: 
a) Reisepaß mit Photographie; 
b) Moralitätszeugnis, daß er keine Kriminalstrafe zu 
büßen hatte; 
c) ärztliche Bescheinigung, daß er gesund sei und 
arbeitsfähig; 
d) Berufszeugnis (mit Angabe, von welchem1 Beruf der 
Einwanderer sei) ; 
e) Polizei attest, daß die Person nie gebettelt habe. 
Diese^ Dokumente müssen beim argentinischen Kon¬ 
sulat im Stammland visiert werden. 
Wir müsisen unseren Stammesgenossen jenseits des 
Ozeans vom Herzen dankbar sein, daß sie uns hilfreich 
die Hand reichen in einer Zeit, wo es nicht genug Hände 
geben kann, die helfen und schaffen. 
8 □ Aus den Gemeinden. ? 
(^□□□OOODQQaOOaDOGQOQQCIClüCJOnCDODaOOQOCX 
(Für die Richtigkeit schriftlich zugegangener Berichte 
übernimmt die Redaktion keine Verantwortung.) 
Linz. 
Gemeindeversammlung. [)as schönste Sommerwetter 
und der nicht allzu glücklich gewählte Tag vermutlich, 
sowie auch die Verschiebung, welche die Gemeindever¬ 
sammlung bereits erfahren hatte, verursachten c:ne auf¬ 
fallend schwache Beteiligung, die nach dem Interesse, 
das vorhergegangene derartige Versammlungen aufge¬ 
wiesen haben, nicht zu erwarten war. Die am 29. Mai 
abgehaltene Gemeindeversammlung war von großer Be¬ 
deutung und mußte dies allen 'jenen, die die Sachlage 
kannten, von vornherein klar sein. Die Gemeindever¬ 
sammlung, welche das neue Statut zu beschließen hatte, 
gab zweifellos für die kommenden Jahre die Richtlinien 
der einzuschlagenden Entwicklung unserer jüdischen 
Gemeinschaft. Dies — sollte man meinen — wäre von 
besonderem Werte und Interesse für jene Männer, welche 
gegenwärtig das Gemeindewesen leiten. Seltsamerweise 
— denn ein blinder Zufall allein kann es kaum1 sein, 
hat ein großer Teil dieser Herren durch ihre offensicht¬ 
liche Abwesenheit ihr jedenfalls bedauerliches Desinter- 
essement an der werdenden Gestaltung der jüdischen 
Gemeinde dokumentiert, — eine Tatsache, die nicht im 
Vergessenheit geraten zu lassen man gut tun wird. 
In sachlicher Hinsicht ist festzustellen, daß die An¬ 
forderung an die Anwesenden, ein so bedeutendes Ela- 
^ ,borat in wenigen Stunden zu erledigen, eine sehr bedeu¬ 
tende war. Der Referent bemühte sich der möglichsten 
Kürze, doch gestattete es teils der wichtige Stoff, teils 
und dies ist gewiß erfreulich — die lebhaften Debatten, 
welche sich durchwegs in anerkennenswertem. Niveau 
bewegten, nicht, allzu rasch vorwärts zu kommen. 
Im Wesentlichen erfahren die Statuten keine der 
Vorlage abweichenden Veränderungen. Wenn, wie be¬ 
stimmt zu erwarten, die Formulierungen von der Landes¬ 
regierung sanktioniert werden, umfassen die dann gelten¬ 
den Statuten gegenüber den alten folgende wichtige Ver¬ 
änderungen : 
Bezeichnung: Jüdische Kultusgemeinde; statt Vor¬ 
steher: ein aus drei Mitgliedern bestehendes Präsidium. 
Wahlrecht: Proporz mit gebundener Liste, ohne 
Zensus, ohne Rücksicht auf Geschlecht, aktives Wahl¬ 
alter 20 Jahre, passives Wahlalter 24 Jahre. 
Besteuerungssystem auf Grundlage der staatlichen 
Einkommensteuer. 
Durch diese Bestimmungen rückt die Linzer Kultus¬ 
gemeinde an dje erste Stelle der österreichischen Ge¬ 
meinden, und wird — hoffentlich — beispielgebend 
wirken. 
Nachstehend der Bericht: 
Der Vorsitzende der Statutenberatungskommission, 
Kultusvorsteher Benedikt Schwager, erklärt um 
8 Uhr die Versammlung gemäß Abschnitt XV der Sta¬ 
tuten der Versammlung nicht für beschlußfähig, und be¬ 
ruft für halb 9 Uhr eine zweite Versammlung im gleichen 
Lokale ein. 
Um' halb 9 Uhr erklärt der Vorsitzende die Versamm¬ 
lung für beschlußfähig, eröffnet dieselbe und begrüßt 
die Anwesenden.
	        
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