Volltext: Nr. 61 (61. 1920)

Nr- 61 
Jüdische Nachrichten 
Tewje aber sagte: 
Mein Weib will es aber so haben. Erstens, sagt sie, 
sollen wir dem lieben Gott für alles Gute, das er uns 
heute beschert, danken und uns für später keine Sorgen 
machen, und dann will der Lehrer die Kinder nicht mehr 
unterrichten, weil wir ihn nicht bezahlen können." 
„Wenn es so ist, dann geh' nur nach Hause," er¬ 
widerte der Fremde. „Bevor du die Stube betrittst, bist 
du ein reicher Mann." 
Tewje wollte noch etwas, fragen, aber der Jäger war 
plötzlich verschwunden. Der Träger ging also nach 
Hause. Vor seiner Hütte spielten die Kinder im Sand, 
doch, als er näher trat, erkannte er, daß es kein Sand, 
sondern pures Gold war. Für den Träger begannen nun 
die sieben guten, glücklichen Jahre. 
Die Zeit jagt dahin und die sieben guten Jahre 
waren gar schnell vorüber. Eines 1 ages kam nun der 
Jäger zu Tewje und erklärte ihm, daß sein ganzes Geld 
nächsten Vorabend verschwinden werde. 
Doch Tewje stand auf dem Markt wie vor sieben 
Jahren, hatte sein Trägergewand an und wartete auf 
Arbeit. 
Und Tewje erwiderte: „Sagt "as meinem Weib, 
denn sie hat das Geld während der ganzen Zeit ver¬ 
waltet". 
Die Beiden gingen nun in die-Vorstadt, denn Tewje 
wohnte immer noch in der alten Lehmhütte auf dem 
freien Felde. Serel stand vor der Tür und war ärmlich 
gekleidet ; nur ihr Gesicht strahlte. 
Der Jäger sagte ihr nun, daß die sieben guten Jahre 
vorüber seien, aber Serel erwiderte, daß die gute Zeit 
bei ihnen noch gar nicht begonnen habe. Das beld 
hätten sie nie als ihr Eigentum betrachtet, denn nur da,s, 
was ein. Mensch durch seine Arbeit verdient, ist sein 
Eigentum. Ein Reichtum aber, der einem mühelos m 
den Schoß fällt, ist nur dazu bestimmt, die Not der 
Armen zu lindern. So habe sie as die ganze Zeit, ge¬ 
halten, und wenn Gott jetzt für sein Geld einen besseren 
Verwalter weiß, dann sei sie gern bereit, es zuruck- 
zugeben. 
Als Prophet Elias diese Worte hörte, verschwand^er 
und legte den Fall dem höchsten Richter vor. Gott aber 
wußte keinen besseren Verwalter für das Geld als lewje 
und sein Weib und so durften sie den Schatz weiter be¬ 
wachen und sie waren glücklich bis an ihr Lebensende 
ggg 
Bücher und Zeitschriften. 
Kaj er Bai ah an : Die Judenstadt von Lublin. 
Mit Zeichnungen von Karl Richard Hencker (Jüdischer 
Verlag, Berlin). Die jüdischen Zentren des Ostens sind 
durch den Krieg besonders hat betroffen worden. Die 
Mehrzahl der Denkmäler mittelalterlich-jüdischer Kul¬ 
tur, die sich bis in die neueste Zeit erhalten hatten, hat 
er zerstört. Man muß es daher als einen glücklichen Zu¬ 
fall betrachten, daß Lublin von den Stürmen jüngster 
Vergangenheit nur wenig heimgesucht worden ist. üs 
birgt eine so immense Fülle von Zeugnissen vergangener 
Epochen jüdischer Kultur, daß man es das „Judische 
Rothenburg" nennen könnte. 
Balaban ist einer der besten Kenner der jüdisch-pol¬ 
nischen Kultur des Mittelalters. Er gibt hier ihre Ge¬ 
schichte an einem ihrer Brennpunkte. Die Judenstadt 
von Lublin, die „ehrwürdige Mutter in Israel , wachst 
im 16. Jahrhundert zum Mittelpunkt des polnischen Han¬ 
dels heran. Ihre Beziehungen reichen tief nach Deutsch¬ 
land, Rußland und Ungarn hinein. Der „Judenreichs¬ 
tag", die berühmte Vierländersynode, diese» stolze und 
machtvolle Organ jüdischer Selbstverwaltung in Polen, 
tagt in ihren Mauern. Groß ist die Zahl der ,,Leuchten 
in Israel", die hier wirkten und lehrten: R. Salomo 
Luria, Maharam Lublin, Maharscha sind die berühmtesten 
unter ihnen. In ihren Lehrhäusern sammelt sich die 
Blüte der jüdischen Jugend ihrer Zeit. Sie sind die 
Führer des jüdischen Geistesleben» im damaligen I ölen. 
In Lublin fällt das Kontribunal, der höchste Gerichtshof 
des alten Polens, seine Bluturteile über die unschuldigen 
Opfer der Ritualmordprozesse. Eine kraftvolle, gut 
organisierte Gilde jüdischer Handwerker und Kaulleute 
führt hier jahrhundertelang mit Zähigkeit den Kampi 
um ihre Handelsrechte, der schließlich mit ihrem Unter¬ 
liegen endet. Mit der Teilung Polens sinkt Lublin von 
seiner einstigen Höhe herab, um sie, nie wieder zu er- 
roichen. 
Die Darstellung dieses Querschnittes durch die Ge¬ 
schichte der Juden in Polen wird belebt durch eine reiche 
Fülle kulturhistorischer Details. Darüber hinaus bildet 
die große Zahl der ganz persönlich gesehenen und gezeich¬ 
neten künstlerisch wertvollen Abbildungen des Zeichners 
eine glückliche Ergänzung des Textes. Sie führen uns 
die alten Synagogen und Schulen, Wohnstätten und 
Straßenbilder vor Augen, in denen sich das bunt bewegte 
Leben des früheren Lublin abgespielt hat. Manchem der 
Tausenden deutschen und österreichischen Soldaten, die 
während des Krieges Lublin passiert haben, werden sie 
dort Geschautes wieder in Erinnerung bringen. Allen 
Juden aber wird das Buch mehr als eine Erinnerung be¬ 
deuten : ein stolzes Zeugnis der geistigen, politischen und 
wirtschaftlichen Großstaaten unserer Brüder in I olen. 
Israel Tunis, der jüdische Pionier in Erez-Israel. 
Seine Tat und seine Wandlung. Übersetzt von Heinrich 
Broch. R, Löwit Verlag, Wien-Berlin, 1920. Preis: 
Mark 1.40. — In einer Zeit, da sich die überwiegende 
Mehrheit der Judenschaft auf sich selbst besinnt, da für 
jeden aufrechten, volksbewußten Juden die Entschei¬ 
dungsstunde geschlagen hat, ist diese Schrift von höchster 
Aktualität und daher von größtem Interesse. Wicht der 
historische Verlauf der Arbeiterbewegung in Palastma 
ist geschildert, sondern ihr zu Persönlichkeitswerten ge¬ 
wordener Gedankenprozeß inmitten der palästinensischen. 
Pionierwelt.. In einer Aufforderung zum Sozialismus 
gipfelt die Schrift, nicht einem Sozialismus, der die 
Bewegung armer, elender Menschen darstellt, sondern 
„einer Bewegung der auf produktivste Weise ^schöpfe¬ 
rischen Elemente auf der ganzen Welt, m allen Landern, 
wo diese Schöpferkraft zum Durchbrach kommt . Der 
Verfasser sieht im jüdischen Problem! die persönliche 
Gewissensfrage eines jeden Juden, für den es heute nur 
eine Alternative gibt: entweder die notige Kraft aut¬ 
zubringen, um die jüdische Art durch eine natürliche 
und schöpferische Entwicklung aufrecht zu erhalten oder 
aber — den Untergang. 
Junger Hann 
der bereits in Gärtnerereibetrieben beschäftigt war, sucht in GMtnejei 
Lehrstelle mit Wohnung und Verpflegung. Lehrgeld bis 200 K monatl. 
könnte entrichtet werden. Zuschriften an die Admm. d. Bl. erbeten. 
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