Volltext: Nr. 49 (49. 1920)

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für die deutschösterr. Provinz, 
Nr. 49 
16. Jänner 
Linz, am 25. Tebeth 5680 
1920 
Ein böswilliger Überfall. 
Es ist noch nicht allzu lange her, daß wir in Pietät 
einer Institution gedachten, die trotz aller Veränderun¬ 
gen, Revolutionen und Umstürze in bewunderungswür¬ 
diger, stoischer Ruhe dieselbe blieb, die sie stets war, 
einer Institution, die um so weniger vermißt wurde, je 
mehr sie sich bemerkbar machte. Damals vermeinten wir, 
der natürliche Dornröschenschlaf werde sie mangels jeg¬ 
licher Betätigungsmöglichkeit sianft und schmerzlos in 
ein besseres Jenseits geleiten. Heute müssen wir zugeben, 
daß die geisternde israelitische Ahirfrau scheinbar wieder 
beginnt, ihr Unwesen zu treiben. 
Freilich, das Gräßliche und Unerhörte, das sich zu¬ 
getragen, hätte selbst eine Tote aus dem Grabe zu zerren 
vermocht. Eine Katastrophe beispielloser Art bedroht die 
Österreichische Judemschaft, entscheidet über das Sein 
oder Nichtsein des Judentums und verleiht — zum Glück 
— den schwindenden Lebensgeistern der ,,Union" rttsch 
noch die Kraft, ein Zirkularschreiben an alle österreichi¬ 
sche Kultusgemeinden zu versenden, das da lautet: 
Geehrter Kultus vor stand! 
Die jüdiischnationale Partei erstrebt die Anerken¬ 
nung einer jüdischen Nation in der Republik Österreich 
und die Errichtung eines besonderen Judenkatasters. 
Unter Berufung darauf, daß die Juden selbst eine 
Boich e Ausnahmsstellung verlangen, hat die christlich- 
soziale Partei bereits einen Gesetzent wu r f auf¬ 
gearbeitet, der in der Nationalversammlung eingebracht 
werden soll und in welchem die Anerkennung der jüdi¬ 
schen Nation, die Verweisung aller Juden, selbst der 
getauften, in einen Zwangskataster, die Ausschließung 
der Juden von allen öffentlichen Ämtern, die Zulassung 
der Juden zu den öffentlichen Schulen von der Volks¬ 
schule* bis- zur Hochschule nur nach Maßgabe ihres per- 
zentuellen Verhältnissies zur GesamtbevÖlkerung, der 
numerus clausus für jüdische Advokaten, Arzte und e r- 
personen und die Nichterteilung von Gewerbekonzes¬ 
sionen an Juden festgesetzt wird. 
Die vereinigten antisemitischen Parteien Tirols 
haben am 30. November im Innsbrucker Stadtsaale in 
Anwesenheit aller Abgeordneten eine Resolution be¬ 
schlossen, welche folgende Forderungen enthalt. 
1. Erklärung der Juden als Nation. — Ausdrücklich 
wird hiebei darauf verwiesen, daß der judischnationale 
Abgeordnete Robert Stricker selbst m der National¬ 
versammlung diese Forderung erhoben hat. 
2. Das strengste Vorgehen bei Erteilung des Hei¬ 
matsrechtes an die Juden. 
3. Verweigerung von Gewerbekonzessionen und Ge¬ 
werbeberechtigungen an Juden. 
4. Unzulässigkeit des Ankaufes von Grund, Boden 
und Häusern durch Juden, Unzulässigkeit jeder Vermitt¬ 
lung durch Juden. 
5. Verweigerung der Aufnahme von Juden in die 
neue Armee. 
6. Einschränkung des jüdischen Elementes im Schul- 
und Bildungswesen nach Maßgabe der Prozentual ität. 
7. Öffentliche Beamte, Advokaten und Ärzte jüdi¬ 
scher Nationalität haben ihrer Anzahl nach im Verhältnis 
der jüdischen zur arischen Bevölkerung zu stehen. 
8. Vom Richterstande, von der Staatsanwaltschaft 
und von der öffentlichen Verwaltung des Staates sind 
Juden überhaupt ausgeschlossen. 
Die Gesetzwerdung dieser Forderungen, deren Vor¬ 
aussetzung die von den Jüdischnationalen zusammen mit 
den Christlichsozialen und Deutschnationalen angestrebte 
Anerkennung einer jüdischen Nation wäre, würde nicht 
nur die staatsbürgerlichen Rechte der österreichischen 
Juden vernichten, sondern sie auch dem völligen wirt¬ 
schaftlichen Ruin preisgeben. Wir erachten es für un¬ 
umgänglich notwendig, daß angesichts der bei den der¬ 
zeitigen Parteiverhältnissen in der Nationalversammlung 
naheliegenden Gefahr alle Kultusgemeinden des öster¬ 
reichischen Staatsgebietes ohne Verzug Eingaben an die 
Staatskanzlei, Wien I., Herrengasse 7, richten, in welchen 
sie sich mit der größten Entschiedenheit gegen die For¬ 
derung nach Anerkennung einer besonderen jüdischen 
Nation in Österreich verwahren und die Erklärung ab¬ 
geben, daß sie die diesbezüglichen Bestrebungen der 
jüdischnationaJen, christlichsozialen und deutschnatio¬ 
nalen Parteien, insbesondere aber die, Forderung nach 
Anerkennung einer jüdischen Nation in Osterreich auf 
das schärfste zurückweisen. 
Wir bitten Sie, diese für Sein und Nichtsein der 
österreichischen, Judenschaft bedeutende Aktion sofort 
einzuleiten und uns über die Durchführung unserer An¬ 
regung so rasch als möglich berichten zu wollen. 
Mit vorzüglicher Hochachtung 
Österreichisch-Israelitische Union. 
Der Vizepräsident: Der bekr i 
Dr. OrnsHin. F1 e i a ..l e
	        
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