Volltext: Nr. 14 (14. 1919)

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Nr. 14 
Linz, 
am 
9. Mai 
9. Ijar 5679 
1919 
Das Gebot der Stunde. 
Die Friedenskonferenz in Paris geht ihrem Ende 
entgegen und so unklar und widersprechend auch die 
Nachrichten lauten, eines wird der gespannt und hoffend 
hinschauenden Menschheit zur bitteren Gewißheit, daß 
das, Avas in Paris vor sich geht, nicht die Wilsonsche 
Völkerversöhnung ist, sondern, den verschiedenen „Kon¬ 
gressen" dey früheren Geschichte gleich, schachernde, 
feilschende, sich gegenseitig mißtrauende Regierungen, 
die um die Beute raufen. Die große Zeit hat ein nui> 
vm kleines Geschlecht gefunden. 
Auch die jüdische Frage wurde auf der Friedens¬ 
konferenz behandelt, mit vielen schönen Worten, doch 
wie der Menschheit der ewige Friede aus solchen Händen 
nicht geboten werden kann, so wird uns unser Land nicht 
durch sie gegeben werden können. Nicht der Genius 
der Menschheit, verkörpert in einer Liga der Nationen, 
wird uns in das Land der Väter zurückführen; ob die 
yrische Küste französischem Einfluß unterworfen (und 
damit das jüdische Palästina einem Feisul Pascha aus¬ 
geliefert werden) soll oder ob die Engländer in Palästina 
' inen Korridor über Bagdad nach Indien und eine Flan¬ 
kensicherung für den Suezkanal (das ganze in Form 
einer Kronkolonie mit jüdischer home rule etwa) bekom¬ 
men sollen, darum dreht sich der Streit. Wilson und 
Balfour wissen, wras uns nottut; ob sie auch die Kraft 
und den entschlossenen Wrillen zur Hilfe haben 
werden? . . . 
Was Wunder, wenn sieh auch bei den Juden ange¬ 
sichts eines solchen Entwicklungsganges der Friedens¬ 
konferenz eine gewisse Gedrücktheit und Enttäuschung 
Weit zu machen droht. Die eben noch glaubten, nicht 
mlig genug ihr Bündel schnüren zu können, sehen die 
endgültige Entscheidung wieder in die Ferne gerückt. 
-Nicht die Lösung der Judenfrage (Erez Israel - Problem 
U|id Galuth-Problem) bringt die Konferenz, sie schafft 
Hloß eine neue, — wenn auch realere und vorteilhaftere 
A usgangssituation. 
Für die große, schon marschbereite Masse ertönt das 
bittere, entmutigende Halt. Noch ist das Land nicht 
bereit, euch alle, die große Masse, aufzunehmen. Wenige 
Zusende bloß werden jährlich das Land betreten dürfen, 
Ur*i es in harter, entbehrungsreicher Arbeit bereit zu 
machen für ihr Volk. Helden, Kulturpioniere, Märtyrer 
^trer Liebe zum Volke kann man sie nennen, Auserwählte 
in jeder Beziehung werden es sein müssen. Aber auch das 
Volk ist noch nicht bereit. Drum darf uns beim Gedanken 
des Aufschubes keine lähmende Entmutigung. befallen, 
sondern der entschlossene Wille zur Arbeit an uns selbst 
muß alle fertigen. 
Die eben hinuntergehen wollten, was hatten sie denn 
mehr, als ihre heiße Liebe und ihren festen Willen? 
Damit allein kann man kein Land aufbauen. Was fehlt, 
die Sprache, die Hebräisierung, die Arbeit und die phy¬ 
sische Eignung, das muß nun nachgetragen werden. 
Das ist das Gebot der Stunde für jene, die die Zions- 
liebe im Herzen tragen: reif werden für Erez Israel, das 
für uns kein utopischer Wunsch, im Gegenteil — das hat 
die Friedenskonferenz gezeigt — eine nur zu sehr vom 
Realen abhängige Wirklichkeit geworden ist. Wir 
wollen das Land als Reales besitzen, mit unseren Händen 
seinen Boden bebauen, mit unseren Füßen seine Ebenen 
durcheilen, mit unseren Augen seine heute auch so wilde 
Schönheit schauen und in seiner Sprache sein Lob singen, 
drum seien unsere Vorbereitungen ganz real, ganz am 
Primären haftend. Der simple Erdarbeiter, der schlichte 
Volksschullehrer, der nüchterne Techniker wird notwen¬ 
diger sein als der Dichter uiid Philosoph . . . 
Heute ist Erez Israel — gestehen wir es uns offen 
ein! — keine Angelegenheit des Volkes, sondern bloß 
eines Teiles, einer Partei, wie gewisse Kreise es mit 
einem leisen Unterton der Geringschätzung behaupten. 
Aber alles, was lebendige Kraft und Zukunftsglaube im 
Volke hat, muß teilnehmen an der Verwirklichung, Erez 
Israel muß die Sache des Judentums, nicht der Zionisten 
werden! 
Und wenn eine Forderung heißt: Arbeit an un* 
selbst, so die nächste und nicht minder wichtige: Einig¬ 
keit! Die Gegensätze, soweit es sich nur um bewußte 
Juden handelt und nicht um volksfremde Eigenbrödler 
oder Dreiviertelgetaufte, sind nicht unüberbrückbar, 
liegen durchaus nicht im Wesentlichen. 
Auf beiden Seiten all der hemmende Schutt des 
Mißtrauens und der Mißverständnisse weggeräumt, wird 
sich bald die Gemeinsamkeit lebendig-werktätig zeigen. 
Wenn auf der einen Seite alles Chauvinistische, Schroffe 
und Radikale vermieden oder gedämpft, auf der anderen 
Seite Ängstlichkeit und Scheu vor der Umwelt, eng-
	        
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