Volltext: Der Spaßvogel 1926 (1926)

hahrt lag, von meinem, Domizilort N., 
der auch mein Sterbeort sein wird und der 
von Gotha sehr weit entfernt ist, genau so 
wie ein lebender Passagier, und zwar im 
Personen-Kupee eines gewöhnlichen Zuges 
nach Gotha überführt wird. Wie das ge— 
macht wird ist mir gleich. Ich überlasse das 
dem Scharfsinn meiner guten Eusebia, die, 
wie immer auch diesmal das Richtige schon 
treffen wird. Gemacht muß es werden! 
Denn nur die korrekte und unbedingte Er— 
füllung meines letzten Wunsches setzt in 
den Genuß der Erbschaft. — Ich für mei— 
nen Teil aber hoffe, durch diese Maßnahme 
einem etwaigen Gebraten- und Geröstet— 
werden bei lebendigem Leibe zu entgehen, 
denn, es ist anzunehmen, daß ich, falls ich 
nur scheintot war, innerhalb der zweitägi— 
gen Aufbahrungszeit oder längstens wäh— 
rend der Chr langen Eisenbahnfahrt wie— 
der zum Bewußtsein kommen würde. Die 
Kosten müssen von der Erbin bestritten 
werden. J Balduin Timpferl.“ 
Das war seltsam, absurd, bizarr und, 
— wie, Fräulein Lieblich sich ausdrückte 
„hanebüchen“! Eigentlich hätte sie sich nicht 
wundern brauchen, denn der Verblichene 
War schon stets ein schrullenhafter Hagestolz. 
Aber Fräulein Lieblichs schon früher 
erwähntes Lachen verlor sehr an Echtheit. 
Doch, was sollte sie tun? Sie mußte sich 
dazu bequemen, diese sonderbare Mission 
„in die Hand zu nehmen“, wollte sie nicht 
auf das schöne Erbe verzichten. Des Testa— 
tors Wille erheischte gebieterisch Erfüllung. 
Sie ging mit gemischten Gefühlen zum 
einzigen Bahnhof der kleinen Stadt und 
erkundigte sich wegen ver Reise des „to— 
ten Passagiers“, indem sie den interessiert 
zuhörenden Beamten den kuriosen Fall 
vortrug. Die ihr darauf gegebene Ant— 
wort war eine glatte Ablehnung. Das 
ginge unter keinen Umständen, man könne 
doch nicht tote Menschen unter lebende 
setzen, nicht einmal ein Extracoupee könne 
man für solche Zwecke beistellen, denn man 
würde damit einen Präzedenzfall schaffen. 
Vielleicht könne man ‚ein, Gesuch beim 
Eisenbahnministertum einreichen, aber bis 
das seine Erxledigung, fände, wäre der 
Tote wohl nicht mehr in der gewünschten 
Weise transportfähig“ und so weiter und 
so weiter. 
Niedergeschlagen verließ Eusebia das 
Bureau. Sie war rat- und trostlos. Selbst 
im Tode machte ihr der Iselige Timpferl 
noch Arbeit über Arbeit, Sorge über 
Sorge, (genau so wie bei Lebzeiten!). 
Sie war schon auf der Straße, da 
hörte sie sich angerufen und sah sich heim 
ümdrehen einem Bahnangestellten unterer 
Kategorie gegenüber. Dieser hatte die Un— 
terredung mit dem Beamten anzuhören 
Gelegenheit gehabt. 
Madamchen,“ sprach er mit unter— 
drückter Stimme, „man kann die Sache 
doch machen, aber Sie müßten eben ein 
bißken „schmieren“ Verstehen Sie? — 
Lassen Sie den ollen, ehrlichen, toten On— 
kel oder was er ist, sofort als scheinbar 
Schwerkranken, oder als Lahmen mittels 
zweier Leute, die ich gerne beistelle, per 
Rollstuhl hierherfahren. In zwei Stun— 
den geht der Zug nach Gotha. Lösen Sie 
eine Fahrkarte erster Klasse und geben Sie 
dem Kondukteur ein gutes Trinkgeld, da— 
mit er in das Abteil, in dem der Tote il, 
keinen Passagier mehr hineinläßt. Die 
Vorbereitung zur Einäscherung in Gotha 
veranlassen Sie indessen auf telegrapischem 
Wege. — Na, — und meiner und der bei— 
den Träger werden „Sie wohl auch mit 
einem entsprechenden Douceur gedenken, 
denn wir riskieren, wenn's gufkommt, un— 
sere Posten. Hol's der Deibel!“ 
Geld durfte jetzt keine Rolle spielen, 
das sah Eusebia Lieblich ein, denn es stand 
unter Umständen die verlockende Erbschaft 
auf dem Spiele. Und darum sagte sie zu 
allem Ja und Amen. Sofort wurde der 
angebotene Vorschlag in die Tat umgesetzt. 
Eine Stunde später sah man Z3wei 
Männer, die den toten Hexrn Balduin 
Timpferl, der reisefertig gekleidet war und 
einen großen Schlapphut tief in die Stirne 
gedrückt hatte, in einem Fahrstuhl zum 
Bahnhof brachten. Rasch wurde er mit 
Hilfe des vingeweihten Schaffners in ein 
Abteil erster Klasse geschafft, in die fin— 
stere Ecke des Wagenabteiles auf die ge— 
polsterte Bank gesetzt und der Vorsicht ha— 
ber gut nach rückwärts angelehnt. Dort 
saß er gut und ungestört, dessen war man 
sicher. Und auch der gute Herr Timpferl 
hätte darüber seine Freude gehabt, denn 
ihm ging auch nichts über einen kom— 
moden und behaglichen Wagenplatz bei 
einer längeren ssahart. 
‚Und nun pfiff auch schon die Loko— 
motive und der Zug bummelte in die 
dunkle Nacht hinaus — — eintönig klap— 
perten die Räder ihr darak dak dak, und 
wenn hin und wieder eine kleine Erschüt— 
terung durch den Wagen ging, dann nickte 
Herr Timpferl leise mit dem Oberkörper, 
als wenn er zu den verschiedenen Geräu— 
schen seinen Takt dazugeben möchte. — 
Der Kondubkteur wußte geschickt bei
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.