Volltext: Der Naturarzt 1896 (1896)

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Gicht, Rheumatismus und Gelenkrheumatismus zu den „Berufs 
krankheiten“ der Bauarbeiter zählen. Yon letzterer Krankheit sind 
namentlich die Steinsetzer arg geplagt. 
Stellen sich nun in folge der vorstehend geschilderten Ursachen 
die ersten Krankheitserscheinungen in der Zeit der Arbeitslosigkeit 
ein, so werden dieselben schliesslich noch oberflächlich, durch ver 
schiedene „Hausmittel“ oder durch di© von den Krankenkassen ge 
währte medizinische Behandlung „beseitigt“. Treten jedoch die ersten 
Krankheitserscheinungen während der Arbeitsperiode ein, so verschreibt 
der Kassenarzt, da der Arbeiter ja so lange es geht, nicht „hauskrank“ 
sein will und kann, ein paar „Einreibungen“ oder ähnliches, welches 
dann auch so lange „hilft“, bis — die Krankheit in. verstärktem 
Masse wiederkehrt. Dann ist dieselbe meist so weit gediehen, dass 
die Behandlung länger dauert, als die Unterstützungspflicht der 
Krankenkasse währt und die Arbeiter lassen sich, um ihrer Anrecht© 
nicht gänzlich verlustig zu gehen, vor der Zeit ,,gesund“ schreiben 
— im Winter besorgen das oft genug auch die Kassenärzte gegen 
den Willen des Arbeiters, da die Kassen so* ziemlich jeden arbeits 
losen Kranken als „Simulanten“ betrachten. 
Wo das aber nun beim besten Willen nicht geht, da tritt dann 
oftmals der Fall ein, dass die Arbeiter, nachdem die Kassen ihr© 
Leistungen eingestellt, der Verpflegung auf öffentliche Kosten anheim 
fallen. Also die Gemeinden müssen jetzt für den kranken Arbeiter 
herhalten. Würden sie ihr Augenmerk darauf richten, dem ge 
sunden Arbeiter seine Gesundheit möglichst zu erhalten, so könnt© 
viel Geld gespart werden. Und das könnte geschehen, wenn di© 
Behörden in den Abschlüssen mit den Unternehmern diese verpflichteten t 
für Baubuden zu sorgen, wie das seit einem Jahre der Stettiner 
Magistrat thut. Ausser für Baubuden haben da die Unternehmer 
auch noch für Trinkwasser und Bedürfnisanstalten zu sorgen. 
Wir kommen da gleich auf eine zweite Frage, welche mit der 
Baubudenfrage im engsten Zusammenhang steht. Die Maurer haben 
im vorigen Jahre in allen grösseren Städten Erhebungen veranstaltet, 
welche sich u. a. auch auf das Vorhandensein von Baubuden und 
Bedürfnisanstalten erstreckten. Bezüglich dieser letzteren sind da 
geradezu ungeheuerliche Zustände aufgedeckt worden. Es sollen 
die gewonnenen Resultate zu einer Denkschrift verarbeitet und — 
irre ich nicht — den gesetzgebenden Körperschaften als Material 
unterbreitet werden. 
Man denke sich aber nur einmal die sittlichen und moralischen 
Folgen, wenn, wie das bei Strassenbauten fast durchweg der Fall ist, 
für die Arbeiter gar keine Bedürfnisanstalten vorhanden 
sind! Ist die Zahl der auf einer Baustelle beschäftigten nicht gross, 
so mag es noch angehen; diese wenigen Mannschaften suchen di© 
Bedürfnisanstalten in den zunächst gelegenen Häusern auf. Ist 
dagegen die Kolonne zahlreich, so wird sich sehr bald jeder Haus 
besitzer diese „Kundschaft“ vom Halse zu schaffen suchen, indem 
er die Hofthür einfach abschliesst. In Strassen mit verschlossenen 
Häusern ist ja überhaupt nicht daran zu denken, im Notfall in irgend 
ein Haus flüchten zu können. Da ist es denn schliesslich gerade* 
kein Wunder, wenn Verstösse gegen die Sittlichkeit Vorkommen.
	        
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