Volltext: Der Naturarzt 1896 (1896)

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allen Berufsklassen ebenso gross gewesen, so hätte die Zahl der 
Opfer weit mehr als „blos“ 8000 betragen! Jedenfalls also ein 
Beweis dafür, dass die Erkrankungsgefahr für die Arbeiter dieses 
Berufes besonders gross ist* ,Und die Ursachen dieser Erscheinung 
— sie liegen buchstäblich auf der Strasse. Es ist ja längst durch 
die Wissenschaft festgestellt, dass im Strassenstaub die meisten 
Krankheitskeime enthalten sind und sicher ist es jedenfalls, dass die 
Zahl derselben zur Zeit einer Cholera-Epidemie sich nicht vermindert. 
Nun stehen ja allerdings wir Anhänger der Naturheilmethode 
der „Bazillenfurcht“ ziemlich skeptisch gegenüber; aber jedenfalls 
ist es doch wohl über allen Zweifel erhaben, dass das tägliche Ein 
atmen grosser Mengen Strassenstaubes sozusagen „aus erster Hand“ 
verbunden mit schlechter Ernährung, ungesunder Wohnung*) u. dergl. 
nicht geeignet ist, den Körper eines Menschen widerstandsfähiger zu 
gestalten. 
Man muss, um dieses völlig zu verstehen, sich den Arbeits 
prozess des Steinsetzers vor Augen führen. Da wird an einer Stelle 
der Strasse das Pflaster aufgebrochen, um irgend eine Repa 
ratur oder sonstige Arbeit auszuführen. Da müssen also zunächst 
die Steine mit allem daran klebenden Schmutz und Staub einzeln 
aufgeworfen werden. Dabei bleibt selbstverständlich von den ver 
schiedenen Stoffen sehr viel an den Händen und Kleidern haften. 
Sodann wird durch das Auf- und Durcheinanderwerfen der schweren 
Steine Staub aufgewirbelt, welcher sich ebenfalls an den Kleidern 
und Körperteilen festsetzt und ein ge atmet wird. Werden die Steine 
sodann von neuem verarbeitet, so wird durch das schwere Auf 
schlagen von Hammer und Ramme noch einmal sehr viel Staub ent 
wickelt, welchen der in gebückter Stellung arbeitende Steinsetzer 
wiederum einatmet und infolge der zu bewältigenden Lasten ist die 
Atmung eine sehr tiefe. Ebenso bleibt auch wieder an Händen 
und Kleidern Staub und Schmutz haften. Namentlich setzt sich der 
Staub an den Lippen und sonstigen feuchten Körperteilen fest. Sehr 
oft passiert es dann noch, dass die Arbeiter — kaum glaublich, aber 
buchstäblich wahr! — leider nicht einmal Gelegenheit haben, vor 
den Mahlzeiten — die Hände waschen zu können!**) Da werden 
die Hände dann ganz notdürftig an allen nur möglichen Gegenständen, 
grösstenteils aber an den Kleidern abgewischt! Selbstverständlich 
aber werden durch das blosse Abwischen die Hände nicht rein und es 
wird so bei den Mahlzeiten verschiedenes dem Munde zugeführt, was 
eigentlich nicht zu der Mahlzeit gehört. Und selbstverständlich wird 
der an den Kleidern abgewischte Schmutz auch noch nach Hause 
geschleppt, wo sodann die Familie des Arbeiters auch noch ihren 
Anteil erhält. 
*) Bekanntlich hat die ‘Wohnungsmisere nebst dem schlechten Trinkwasser der 
Cholera in Hamburg den besten Nährboden bereitet und der Ausbreitung Vorschub 
geleistet. 
**) Es ist mir dies sogar bei Arbeiten in den Strassen Berlins schon passiert, 
beispielsweise in der Invalidenstrasse, vom Lehrter Bahnhof bis Alt-Moabit existiert 
nicht ein einziger Strassenbrunnen und die angrenzenden Grundstücke sind ohne 
Ausnahme fiskalisch, zu denen „Unbefugten“ der Eintritt nicht gestattet ist!
	        
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