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Aus den Naturheilanstalten.
Stiftung „von Zimmermann’sche Naturheilanstalt“ in Chemnitz.
Unter den während der ersten Monate d. J. in Zugang gekommenen
Kranken befand sich eine ziemliche Anzahl solcher, welche hei teils schon
bestehenden chronischen Uebeln, teils bei bis dahin nicht oder nur wenig
getrübter Gesundheit von der Influenza befallen worden waren und noch
an den Folgezuständen der Grippe litten. Dieselben gaben sich bei der
ersteren Klasse durch Verschlimmerung des ursprünglichen Leidens, bei
den anderen durch mannigfache Störungen in den Verrichtungen der ver
schiedensten Organe kund. Nachkrankheiten traten besonders bei den
jenigen auf, welche trotz der Grippe sich von ihrer gewohnten Lebens
weise und Beschäftigung nicht hatten abbringen lassen, in der Meinung,
es würde schon von selbst wieder besser werden. Widerstandsfähige
Naturen oder überhaupt solche, die schon für gewöhnlich durch Führung
einer naturgemäßen Lebensweise die heutzutage üblichen Schädlichkeiten
möglichst vermeiden gelernt, wurden allerdings entweder ganz von der
Epidemie verschont, oder doch nur leicht und vorübergehend davon heim
gesucht, und zwar um so weniger, je rechtzeitiger und energischer sie die
natürlichen Hilfsmittel zur Gegenwehr in Gebrauch gezogen hatten.
Härter betroffen wurden dagegen schwächliche oder geschwächte Konsti
tutionen, und zwar vornehmlich in denjenigen Organen, deren Verrichtungen
überhaupt schon zu wünschen übrig liessen. So bildeten sich bei oder
nach der Grippe z. B. Nervenschmerzen (Neuralgieen) bei überhaupt nervös
Veranlagten aus, während bei erschlafften Schleimhäuten, sowohl der
Atmungs- als der Verdauungs-, der Harn- und Geschlechts-Organe, sogen,
atonische Schleimflüsse auftraten, bezw. hartnäckig fortdauerten; so z. B.
weisser Fluss, Blasen-, ja Harnröhren-Katarrh. Bemerkenswert war ferner
bei Herzkranken eine recht missliche Schwächung der Herzkraft, bei
Magenleidenden eine oft gänzliche, lange Zeit anhaltende Appetitlosigkeit.
Grosse, psychische Niedergeschlagenheit bis zu melancholischen Zuständen
konnte bei Neurasthenikern infolge der Giippe beobachtet werden, ferner
lähmungsartige Schwäche der Bewegungsorgane.
Von anderen Erkrankungen dürften erwähnenswert sein drei bisher
hier behandelte Fälle einer verhältnismässig seltenen und ihrem Wesen
nach wenig erforschten, zuerst vom Arzt Basedow genauer beschriebenen
Gesundheitsstörung, welche man auch wohl Glotzaugen-Krankheit
nennt, obwohl diese Bezeichnung um deswillen nicht gut gewählt erscheint,
weil es dabei oftmals garnicht zum Glotzauge, d. h. zu einem Hervor
quellen der Augäpfel aus ihren Höhlen kommt. Es kennzeichnet sich diese
Krankheit vielmehr allemal durch schwere Störungen im Gebiete des
sympathischen Nervengeflechts, sowie in demjenigen des herumschweifenden
Nerven (vagus), welcher gewissermaßen der Gegner jenes ist. Wie
nämlich der eine die Pupille erweitert, wird sie durch Einfluss des
anderen verengt; der eine beschleunigt den Herzschlag, der andere ver
langsamt ihn. Eine enorme Beschleunigung der Herzthätigkeit aber (bis
zu 160 Pulsschlägen in der Minute!) ist das konstanteste Symptom der
Basedowschen Krankheit, ohne dass eigentlich krankhafte Veränderungen
im Herzen selbst vorhanden sind. Eine fernere Erscheinung ist die ent
zündliche, in ihrem Umfange wechselnde Anschwellung der Schilddrüse
am Halse, so dass es zu einem oft beträchtlichen Blähhals kommt, der
aber hier nicht sowohl auf Gewebswucherung und Zellen Vermehrung der