Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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und helfen sich so gut oder schlecht als sie können, indem sie die ärztliche Hilfe von Auto 
didakten oder Empirikern (durch Erfahrung Ausgebildete) aus ihren Kreisen in Anspruch 
nehmen, zu denen sie Vertrauen haben, wenn vielleicht auch nur ein notdürftiges. Jeden 
falls haben sie zu diesen Leuten ein größeres Vertrauen, als zu den Aerzten, ja gegen 
Letztere empfinden sie ein Mißtrauen, das sich oft bis zum Haß steigert, nämlich dann, 
wenn die Ärzte sie ihrer Berater berauben wollen, wenn sie die beschimpft und verfolgt 
sehen, zu denen sie Vertrauen haben, wenn man sie solcherweise vergewaltigen will, indem 
man sie zu den Giften zurückzwingt, an die jene, die sie verschreiben, selbst nicht mehr 
glauben. — Wir sind die Letzten, die gegen behördliche Maßnahmen wider Curpfuscher, 
Geheimmittelhändler re. sind; aber wenn die Curpfuschergesetze dazu dienen sollen, einen Stand 
zu schützen, durch dessen Verhalten eine um das Hundertfache zahlreichere Schaar von Staats 
bürgern bedrängt und einer genügenden ärztlichen Hilfe beraubt wird, so treten wir gegen eine 
solche Gesetzauslegung auf. 
Es sind schon verschiedene Vertreter und Ausüber der natürlichen Heilweise auf die 
Anklagebank gebracht worden, aber jedesmal merkte man an dem Gutachten der 
Sachverständigen die Absicht — und wurde verstimmt. So auch in dem vor wenigen 
Tagen stattgehabten Fall Canitz in Berlin. Es ist nicht die Person, sondern es ist 
die Sache, die angegriffen wird; es ist die Behandlung wissenschaftlicher Fragen im Gerichts 
saal.* **) ) Canitz wurde, soweit man es aus den Zeitungen entnehmen kann, verurteilt, weil er 
bei rheumatischen Affektionen und Dcüsenschwellung Wärme (Dampfwärme) anwendete, 
während er nach Ansicht der Sachverständigen Kälte anwenden mußte, und ferner, weil er 
die Ausführung seiner Anordnungen nicht genügend überwacht habe. Was das Erste anlangt, 
so halte ich jenen, der an Hunderten von Fällen die Wirkung von warmen und kalten 
Proceduren erprobt hat, für competenter, als jene, die hin und wieder allerhöchstens einen 
Eisbeutel anwenden, von dessen Gebrauch man außerdem aus guten Gründen mehr und 
mehr zurückkommt. Was den zweiten Punkt anlangt, so möchte ich jene Ärzte sehen, die 
einen Kollegen verurteilen, weil der Tölpel von Patient statt drei mrl am Tage einige 
Tropfen Opium zu nehmen, in einem Zuge das Fläschchen leert und womöglich stirbt. 
Der Arzt ist doch nicht Krankenwärter. — Nun, die 300 Mark Strafe werden Canitz nicht 
ärmer machen; aber ob sie dem Ansehen der Medizin nützen? — 
Das Vorgehen ist gegen die Sache gerichtet; denn sonst würden doch jene, allerdings 
wenigen Ärzte, welche aus Überzeugung das natürliche Heilverfahren ausüben, von der Ver 
folgung verschont sein, welche gegen die Laienelemente betrieben wird. Allerdings geschieht 
diese Verfolgung ja nicht so öffentlich, aber welches Maß von Gift und Galle sich anhäuft, 
dafür dürfte eine Postkarte Zeugniß ablegen, die kurz nach der Canitz-Affaire von Berlin 
an meine Adresse gelangte.*) Allerdings handelt es sich hier wohl nur um die Autorschaft 
einiger bierseligen Kandidaten; aber sie giebt die Stimmung vielleicht auch anderer Leute 
wieder, die den Rückgang des ärztlichen Standes in allem Anderen, nur nicht in der eigenen 
Kurzsichtigkeit sehen. Es sind jene Sklavenseelen, die erst sich durch die zwingende Wucht 
veränderter Zeitverhältnisse und der veränderten öffentlichen Meinung in ein neues Geleise 
bringen lassen werden. _ 
Gin offenes Wort. 
Ueber die Bedeutung der Diagnose (Urankheitsbestimmung) bet 
der medizinischen und der natuegernätzen 
(nichthygieinischen) Heiimetiznde. 
Anknüpfung an das soeben erschienene Buch des Oberstlieutnant Spohr: Die inneren 
Krankheiten der Pferde, ihre Entstehung und naturgemäße Heilung, 
ohne Änwendung von Arzneien. 
Eine Heilmethode, welche darauf ausgeht, wenn auch nicht in allen, so 
doch in möglichst vielen Fällen, statt den Krankheitsprozeß zu regeln bezw. 
seinen Verlauf sich bis zum günstigen Ende unter helfender Fürsorge natur 
gemäß abspielen zu lassen, das ganze Bild der Krankheit, welches für sie mit 
derem Wesen identisch ist, oder doch nach ihrer Ansicht dieses für die Erkenntnis 
des Menschen darstellt, mit einem Schlage durch sog. specifische d. h. für eben 
dieses gegebene Krankheitsbild passende Heilmittel, Medikamente, zu beseitigen, 
hat ganz natürlich das größte Jutereffe an der genauen Feststellung jener 
Krankheitsbilder, der sog. Diagnose. Wer z. B. bei Herzkrankheiten ein Mittel 
*) „Medizinisches Ketzergericht", wie der Herr Verteidiger schlagend es benannte. D. Red. 
**) Dieselbe ist so unflätig, daß sie hier nicht wiedergegeben werden kann. D. Red.
	        
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