Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

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Krankenbette einzig und allein nur im Geiste der Hygieine thätig zu sein, dann. 
wird unsere Prüfungskommission überflüssig. Bis dahin aber ist sie notwendig? 
und bedeutet für die Fortentwickelung der Naturheilkunde einen bedeutenden 
Schritt vorwärts. W. Siegert. 
Über die Verarmung des Volkes durch den 
Aberglauben an sogenannte Arzneimittel. 
Von Dr. Disquo, Kreisarzt zu Thann i. E. 
Schon 400 Jahre vor Christus sagte Hypokrates, der größte Arzt, der 
je gelebt hat, daß die Lebensweise (Lebensordnung, Diät) das wichtigste Mittel 
gegen Krankheiten sei. Diätetische Vorschriften standen bei seinen Verordnungen 
oben an. In den Schriften über „Luft, Wasser und Gegenden" zeigte er 
zuerst die Einwirkung dieser wichtigen Faktoren auf den gesunden und kranken 
Körper. 
Von dieser natürlichen Auffassung der Krankenbehandlung entfernte man 
sich immer mehr. Die ärztliche Praxis kam allmählich in die Hände der 
Priester und Mönche. Bei der Krankenbehandlung spielte der Aberglaube eine 
bedeutende Rolle. Man hielt dre Krankheiten für Sendungen böser Geister. 
Man nahm Medizin, um diese Geister auszutreiben und bewahrte in den Klöstern 
complizierte Rezepte dieser sogenannten Arzneimittel. 
Noch heute im 19. Jahrhundert glauben die meisten Menschen, daß der 
böse Geist der Krankheit durch ein seit alten Zeiten verordnetes Tränkchen ver 
trieben werden könnte. — Welcher Rückschritt im Vergleich zu den Zeiten des 
Hypokrates vor mehr als 2000 Jahren! — Damals die naturgemäße 
Krankenbehandlung —^ heute der Aberglaube von alt hergebrachten Arzneien, 
von deren Wirkung sich kein Mensch eine Vorstellung machen kann! 
Wenn man als Arzt viele Tausende von Kranken gesehen hat, welche 
immer noch an diese sogenannten Arzneimittel glauben, wenn man gesehen hat^ 
daß gerade die ärmsten Leute ihr sauer erspartes, letztes Geldstück, ihren letzten 
Blutgroschen in die Apotheke tragen, so thut es einem doch in der Seele weh, 
daß noch im 19. Jahrhundert das Volk von diesem alten Aberglauben 
beherrscht ist. 
Die reichen, die gebildeten Leute sind im allgemeinen nicht so aber 
gläubisch. Sie lieben die vielen Droguen und Arzneien nicht, sie achten mehr 
auf diätetische Vorschriften rc. — Also der arme Mann muß mit seinem sauer 
ersparten Gelde dafür herhalten. — In unserer Gegend brauchen diese armen 
Leute, welche sich teilweise in Krankenkassen befinden, durchschnittlich 10 Mark 
auf den Kopf jährlich für Droguen und Arzneien. Es werden also jedes 
Jahr im deutschen Reich circa 500 Millionen (V 2 Milliarde) zumeist von armen 
Leuten für diese unnötigen Dinge verausgabt. — 
Arme Leute, welche kein Brot zu essen haben, werden von vielen Ärzten 
mit teueren, unnötigen, oft schädlichen Arzneien gefüttert! Der Staat, welcher- 
die Leitung der Krankenkassen durch das Krankenkassengesetz in Händen hat^ 
sollte doch der durch solche ärztlichen Verordnungen entstehenden Verarmung 
des Volkes entgegenarbeiten/der Staat sollte den Krankenkassenärzten vorschreiben, 
keine unnötigen Arzneien zu verordnen. Wer bezahlt die großen Ausgaben 
der Krankenkaffen für diese Arzneien? Der arme Arbeiter, dem viel Geld dafür 
vom Lohn abgezogen wird! 
Also im Interesse des armen Volkes müßte in dieser Beziehung das 
Krankenkassengesetz durch weitere ausführende Bestimmungen ergänzt werden-
	        
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