Volltext: Der Naturarzt 1889 (1889)

— 8 — 
Examen bestehen, findet in den Anschauungen der Naturheilkunde nicht den 
geringsten Anknüpfungspunkt. Der von der Naturheilmethode in erster Linie 
hochgehaltene Grundsatz, daß zur Heilung von Krankheiten Medikamente aus 
der Apotheke durchaus unnötig wären, wird durch den jahrelangen Studien 
gang der Mediziner geradezu zu etwas Unfaßlichem gestempelt. Die von uns 
vertretene und mit Gründen der Logik verteidigte Anschauung, daß es keine 
„örtlichen" Krankheiten gäbe und daß darum eine ausschließliche örtliche 
Behandlung im höchsten Grade naturwidrig sei, wird durch das sich im Laufe der 
Zeit aus der Schulmedizin herausgeschälte und durch die Staatsmedizin gepflegte 
„Spezialistentum'' eine total unannehmbare. Die Begriffe: Ableitung, ablei 
tendes Verfahren, Entlastung sind ihm unbekannte Größen. Die von der Natur 
heilkunde lebhaft betonte Lehre daß mit der Behandlung der Kranken „nicht zu 
warten sei bis ein klinisches Krankheitsbild sich in allen Punkten klar und deutlich 
zum sicheren Namengeben fertig stellt", kann unmöglich in die eingelernte 
Anschauungsweise des Arztes hineingebracht werden. Ihm ist anerzogen, an 
gelernt, die fertige mit Namen belegte Krankheit in Behandlung zu nehmen; 
nicht zu benennende Krankheitszustände liegen außerhalb seines Bannkreises. 
Dem tüchtigsten Schulmediziner ist es zur zweiten Natur geworden „innerliche 
Krankheiten" auch innerlich, will sagen, mit innerlichen Mitteln, mit Medika 
menten zu behandeln. Ihm ist der Magen der einzig begehbare Weg, um den 
im Körper hausenden Krankheiten beizukommen. Das Einnehmen ist für ihn 
das A und O seines Wirkens. Der Gedanke, durch die ausschließliche Ein 
wirkung auf die Hautfläche Verstimmungen im Mittelpunkte des Blut- und 
Nervenlebens zu beseitigen, ist ihm unfaßbar; hat er doch während seiner Studien 
zeit nie etwas davon gesehen und gehört oder nur so nebenbei, daß es unbeachtet 
vorüberging. Dem „wissenschaftlichen", dem „studierten" Arzt wurde nie etwas 
darüber gesagt, wie Krankheiten des Kopfes, des Rachens, des Kehlkopfes, der 
Lungen, des Herzens, der Leber, der Nieren, des Magens, des Darmes, der 
Blase, des Uterus, des Ovariums, überhaupt innerer Organe, ohne jede Medizin 
nur durch entsprechende Einwirkungen auf die Haut zur Heilung und Genesung 
geführt werden könnten. Er lernte: solchem Zustande ist nur „innerlich" bei 
zukommen; lernte das Jahre lang mit Mühe und Fleiß, hörte es viele Semester 
hindurch von den größten Autoritäten verkünden, nahm es gläubig als Evan 
gelium in sich auf, übte sich in den Kliniken darauf -ein, regelte und schulte 
darnach sein ganzes Denken, Fühlen und Handeln. Und nun soll das alles 
nicht zutreffend sein! Alles das, was er als Weisheit geglaubt, was ihm als 
Richtschnur gegolten, soll er unter dem Lichte einer neuen Lehre als Wahn 
anerkennen! Das altehrwürdige Gebäude, an dem Jahrtausende bauten und 
an dem er bisher mit weiter bauen half und unter dessen Dach er Schutz und 
Schirm gefunden, soll er als in seiner Gründung verfehlt und in seinem 
Weiterausbau als verpfuscht sich denken! Das geht einfach nicht. Das darf 
nicht sein. Fort mit diesen umstürzenden Ideen! Sie machen schwindelnd und 
beirren den Geist! — 
Verstehst Du nun, lieber Freund, warum unsere Medizinärzte sich nicht 
für unsere Heilwissenschaft erwärmen, begeistern, interessieren! Nicht, weil die 
Naturheilkunde nichts taugte, nicht, weil sie Charlatanerie und Humbug wäre, 
sondern weil die Herren Medizinärzte durch ihren ganzen Bildungsgang zur 
Zeit noch unfähig sind, die hohen und hehren Wahrheiten, die in ihr liegen, 
zu faffen, und ihren klarliegenden Wert zu begreifen. 
Darum wollen wir ihren Schmähungen gegenüber nicht zürnen, sondern 
wollen Geduld und Nachsicht und Mitleid mit ihnen haben. Es kommt gewiß
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.