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Examen bestehen, findet in den Anschauungen der Naturheilkunde nicht den
geringsten Anknüpfungspunkt. Der von der Naturheilmethode in erster Linie
hochgehaltene Grundsatz, daß zur Heilung von Krankheiten Medikamente aus
der Apotheke durchaus unnötig wären, wird durch den jahrelangen Studien
gang der Mediziner geradezu zu etwas Unfaßlichem gestempelt. Die von uns
vertretene und mit Gründen der Logik verteidigte Anschauung, daß es keine
„örtlichen" Krankheiten gäbe und daß darum eine ausschließliche örtliche
Behandlung im höchsten Grade naturwidrig sei, wird durch das sich im Laufe der
Zeit aus der Schulmedizin herausgeschälte und durch die Staatsmedizin gepflegte
„Spezialistentum'' eine total unannehmbare. Die Begriffe: Ableitung, ablei
tendes Verfahren, Entlastung sind ihm unbekannte Größen. Die von der Natur
heilkunde lebhaft betonte Lehre daß mit der Behandlung der Kranken „nicht zu
warten sei bis ein klinisches Krankheitsbild sich in allen Punkten klar und deutlich
zum sicheren Namengeben fertig stellt", kann unmöglich in die eingelernte
Anschauungsweise des Arztes hineingebracht werden. Ihm ist anerzogen, an
gelernt, die fertige mit Namen belegte Krankheit in Behandlung zu nehmen;
nicht zu benennende Krankheitszustände liegen außerhalb seines Bannkreises.
Dem tüchtigsten Schulmediziner ist es zur zweiten Natur geworden „innerliche
Krankheiten" auch innerlich, will sagen, mit innerlichen Mitteln, mit Medika
menten zu behandeln. Ihm ist der Magen der einzig begehbare Weg, um den
im Körper hausenden Krankheiten beizukommen. Das Einnehmen ist für ihn
das A und O seines Wirkens. Der Gedanke, durch die ausschließliche Ein
wirkung auf die Hautfläche Verstimmungen im Mittelpunkte des Blut- und
Nervenlebens zu beseitigen, ist ihm unfaßbar; hat er doch während seiner Studien
zeit nie etwas davon gesehen und gehört oder nur so nebenbei, daß es unbeachtet
vorüberging. Dem „wissenschaftlichen", dem „studierten" Arzt wurde nie etwas
darüber gesagt, wie Krankheiten des Kopfes, des Rachens, des Kehlkopfes, der
Lungen, des Herzens, der Leber, der Nieren, des Magens, des Darmes, der
Blase, des Uterus, des Ovariums, überhaupt innerer Organe, ohne jede Medizin
nur durch entsprechende Einwirkungen auf die Haut zur Heilung und Genesung
geführt werden könnten. Er lernte: solchem Zustande ist nur „innerlich" bei
zukommen; lernte das Jahre lang mit Mühe und Fleiß, hörte es viele Semester
hindurch von den größten Autoritäten verkünden, nahm es gläubig als Evan
gelium in sich auf, übte sich in den Kliniken darauf -ein, regelte und schulte
darnach sein ganzes Denken, Fühlen und Handeln. Und nun soll das alles
nicht zutreffend sein! Alles das, was er als Weisheit geglaubt, was ihm als
Richtschnur gegolten, soll er unter dem Lichte einer neuen Lehre als Wahn
anerkennen! Das altehrwürdige Gebäude, an dem Jahrtausende bauten und
an dem er bisher mit weiter bauen half und unter dessen Dach er Schutz und
Schirm gefunden, soll er als in seiner Gründung verfehlt und in seinem
Weiterausbau als verpfuscht sich denken! Das geht einfach nicht. Das darf
nicht sein. Fort mit diesen umstürzenden Ideen! Sie machen schwindelnd und
beirren den Geist! —
Verstehst Du nun, lieber Freund, warum unsere Medizinärzte sich nicht
für unsere Heilwissenschaft erwärmen, begeistern, interessieren! Nicht, weil die
Naturheilkunde nichts taugte, nicht, weil sie Charlatanerie und Humbug wäre,
sondern weil die Herren Medizinärzte durch ihren ganzen Bildungsgang zur
Zeit noch unfähig sind, die hohen und hehren Wahrheiten, die in ihr liegen,
zu faffen, und ihren klarliegenden Wert zu begreifen.
Darum wollen wir ihren Schmähungen gegenüber nicht zürnen, sondern
wollen Geduld und Nachsicht und Mitleid mit ihnen haben. Es kommt gewiß