Die Vollkleidung als Gesundheitsschutz.
Von Dr. med. A ß m et n n.
(Fortsetzung.)
Zweifellos richtig geht Professor Jäger von der Thatsache aus, daß es kein belebtes Wesen
in der Natur gebe, welches mit einem aus Holzfaser bestehenden Kleide versehen sei.
Überall sehen wir, wie natürlich, die eigenen Körperstoffe in einer Modifikation der Epidermis,
der äußeren Haut selbst, als Bekleidungsschutz verwandt. Dabei geht die Anpassung der Be
kleidung an die äußeren Lebensbedingungen so weit, daß nicht nur jedes Lebewesen je nach
der Natur und Wärme seines Aufenthaltsortes gegen Wärmeverluste geschützt ist, daß also
Landtiere, den größeren Temperaturschwankungeu der Lust entsprechend, mit einer erheblich
dichteren Decke versehen sind, als Wassertiere, sondern daß sogar sehr viele warmblütige Tiere
einen Wechsel ihrer Bekleidung je nach der wärmeren oder kälteren Jahreszeit regelmäßig voll
ziehen. Überall jedoch finden wir das Haar, die modifizirte Epidermis, als BekleidUügs
material bei den War m b l ü t e r n. Daß die Warmblüter in allen Zonen am meisten darauf
angewiesen sind, eine solche Hülle zu besitzen, welche möglichst schlecht Wärme leitet,
geht aus den enormen Temperaturschwankungen hervor, welche an jedem Ort der Erde vor
kommen. In den Tropen, wo die scheitelrechte Sonne Temperaturen bis 70° C. zu erzeugen
vermag, wo anderseits in klaren Nächten das Thermometer am Erdboden so weit sinkt, daß
Wasser, welches man in flachen Schalen aufstellt, durch Ausstrahlung zun: festen Gefrieren ge
bracht wird, in den gemäßigten Zonen, in welchen gleichfalls die höchsten Einstrahlungs-Tem-
peraturen 60° übersteigen, während die tiefsten Ausstrahlungsgrade unter — 30" herab gehen,
in den sogenannten Kältepolen der Erde, m Sibirien bei Werchojansk und im arktischen Nord
amerika, wo Wintertemperaturen bis zu — 67°, Sommerwärme bis zu 30 und mehr Grad
beobachtet worden sind — in allen Zonen ist die äußerste Wttrmeschwankung, welcher unter
Umständen ein lebendes Wesen sich muß anpassen können, lvill es nicht zu Grunde gehen, eine
enorme und besitzt nahezu dieselbe Breite, welche das Wasser vom Gefrieren bis zum Sieden
erleidet. Würde den: gegenüber der tierische Körper nicht mit einem exquisit schlechten Wärme
leiter bekleidet sein, so müßten diese gewaltigen Grenzen der Wärme seine Körpersäfte einerseits
zum Erstarren, anderseits zum Verdampfen bringen. Diese Gefahren werden nun also d:t r ch
d i e Haut und ihr Derivat, das Haarkleid, die Wolle, abgestumpft. Der Mensch, in
seinen früheren Entwickelungsstadien zweifellos gleichfalls mit einem dichten Haar-
kleide, dessen atavistische Überbleibsel unser Körper noch.trägt,. verseheu.verlor dasselbe all
mählich, als er es durch Anpassung ermöglichte, sich einen w i l l k ü rlichen Temperatttrschutz
zu verschaffen. Trotzdem blieb seine Bekleidung zweifellos eine tierische, Felle und Pelze er
legter Tiere dienten ihm sicherlich während ungemessener Zeiträume ausschließlich hierzu. All
mählich erst lernte er mit dem Ackerbau.,die gespinnstbereitenden Pflanzer: kennen und ging mit
der fortschreitenden Technik zu einer Änderung seines Bekleidungsmaterials, zur Wahl der
gesponnenen Holzfaser über.
Daß mit dieser Änderung des Bekleidungsmateriales der eigentliche Bekleidungszweck, welcher
doch unter allen Umständen darauf hinaus läuft, einen möglichst schlechten Wärmeleiter zwischen
Haut und äußere Luft einzuschalten, nur erheblich schlechter erreicht werden kann,
als mit dem Wollhaar, geht aus folgendem kleinen, leicht überall zu wiederholenden Experimente
hervor. Man nehme ein beliebig großes Stück Leinwand, suche sich dann unter baumwollenen
und reinwollenen weißen Stoffen je ein Stück heraus, welches eben so groß ist und dasselbe
Gewicht besitzt wie die Leinwand. Man wird auf diese Weise, wenn Größe und Gewicht gleich
sind, auch die gleiche Dichtigkeit und Dicke des Gewebes erreichen, man exponire diese drei neben
einander auf einem freien Platze, auf einem trockenen Brette liegend dem vollen Sonnenschein;
unter jedem Stück aber liege ein genau justirtes Maximum-Thermometer. Schon nach kurzer
Zeit wird man bemerken,' daß das Thermometer unter der Leinwand am schnellsten, etwas
langsamer das unter der Baumwolle, am l a n g s a m st e n jedoch das von der Wolle
bedeckte ansteigt, daß auch schließlich das letztere ganz erheblich unter den von den beider:
anderen erreichten Werten zurückbleibt. Dies Experiment liefert den unumstößlichen Beweis,
daß die Sonnenwttrme durch Leinwand am leichtesten, etwas schwerer durch Baumwolle, an:
langsamsten und s ch w e r st e n aber durch Wolle dringt. Man lege nun dieselbe::
Proben die Nacht hindurch an einem gleichmäßig von der Sonne durchwärmten Orte aus, nun
vertausche man die Maximum-Thermometer mit Minimum-Instrumenten. Eine klare, die volle
Ausstrahlung ermöglichende Nacht vorausgesetzt, werden wir finden, daß das Thermometer unter
Leinwand am stärksten, weniger unter Baumwolle, am g eringsten unter Wolle ge
sunken ist. Die Wolle hat also am meisten von der der Erde zugestrahlten Sonnenwttrme
in derselben zurückgehalten, weniger die Baumwolle, am wenigsten die Leinwand. Die Wolle
ist also ein exquisit schlechter Wärmeleiter und übertrifft hierin Leinen und Baumwolle um ein
erhebliches. Fragen wir uns nach dem Effekt, welchen diese Eigenschaft auf unseren Körper