Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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Jim Preisausslhm-en -er Baistrin Augusts für die beste Arbeit 
über das Wesen der Biphtheritis uud deren Behandlung. 
Vom Herausgeber. (Schluß.) 
Ich forderte nun meinen Kollegen auf, ungescheut seine Prognose auszusprechen, ich sei 
gefaßt das Schlimmste zu hören; zögernd bekannte er mir: er würde im gleichen Fall 
nicht anders verordnet haben, als ich gethan! indeß — ich erinnere mich aus meinen 
Studentenjahren in einer gerichtlich-medizinischen Zeitschrift von einem V ergiftungs- 
f a l l gelesen zu haben, welcher durch o^anurstum mereurii veranlaßt worden, derselbe hatte 
fünf zu einer und derselben Familie gehörige Personen betroffen, welche sämtlich dem bei 
gebrachten Gifte in kurzer Zeit erlegen waren; die Protokolle der gerichtlich angeordneten 
5 Obduktionen waren ausführlich mitgeteilt worden; man hatte nach ihnen in verschiedenen 
Organen, je nach Alter und Geschlecht der Leichen, verschiedene Gewebsveränderungen, bei 
sämtlichen 5 Leichen hingegen gleichlautend eine nekrotische Zerstörung der Weichteile des 
Gaumens und Rachens vorgefunden! Wollen Sie — fuhr mein Kollege fort — von dieser 
zwar vereinzelten, doch aber charakteristischen Teilwirkung der übrigens noch nicht geprüften 
Arzneisubstanz auf der uns gemeinsamen therapeutischen Regel in diesem verzweifelten Falle 
versuchsweise Gebrauch machen, so — ich ließ ihn nicht ausreden, sondern bat ihn, 
nach eigenem Ermessen handelnd für mich einzutreten, da ich infolge von Nachtwachen, Be 
sorgnis und übermäßiger Arbeit außer dem Haus, mich der völligen Erschöpfung nahe 
fühlte ! Kaum hatte er die Verordnung niedergeschrieben, als ich mit derselben im schnellsten 
Laufe der Pserde nach der ziemlich entfernten Apotheke eilte, deren gefälliger Chef sich ohne 
Arznei selbst auf den Weg machte, um ein zuverlässiges Präparat auszutreiben, worauf 
er zuerst eine gesättigte Lösung und von dieser nach erhaltener Vorschrift eine 6. Zente 
simalverdünnung herstellte! Es waren kaum 2 Stunden vergangen, als ich mit dem 
Präparat in meiner Behausung wieder anlangte, wo ich nach Anordnung des befreun 
deten Kollegen 5 Tropfen desselben mit einem Trinkbecher voll frischen Wassers 
mischte und um die Mittagsstunde dem Patienten davon den 1. Theelöffel voll reichte, 
welche Gabe alle 2 Stunden wiederholt wurde. 
Der Rest des Tages verlief ohne zu einer bemerkenswerten Beobachtung Gelegenheit 
zu bieten; gegen Abend jedoch verfiel Patient seit mehren Tagen zum erstenmal in ru 
higen Schlaf, welcher im Laufe der folgenden Nacht nur wenige kurze Unterbrechungen et> 
litt; während dessen Dauer vermochte ich wegen eigener großer Erschöpfung nicht mehr zu 
konstatiren, als eine Veränderung im Klange des nur selten austretenden Hustens, welcher 
mehr schnarrend als bellend ausfiel, nebst größerer Regelmäßigkeit und Geräuschlosigkeit der 
Respirationsakte; kaum hatte Patient zu früher Morgenstunde sich völlig ermuntert, als 
er nach Nahrung verlangte, welche ihm in Form einer Portion Fleischbrühe gereicht wurde, 
worauf er alsbald wieder in Schlaf verfiel. Gegen 10 Uhr vormittag kam mein Kollege 
wieder, da er vermöge eigener Verordnung an dem Krankheitsfall ein regeres Interesse 
gewonnen hatte; nachdem er mit dem Ausdruck der Genugthuung nur günstig zu deu 
tende Veränderungen konstatirt hatte, schritten wir zur gemeinsamen Inspektion der 
Mund- und Rachenhöhle und was fanden wir jetzt? — Die Konturen des weichen Gau 
mens waren deutlich zu erkennen, kleine pseudomembranöse Reste waren in geringer Anzahl 
erst dem länger verweilenden Blicke erkennbar; die Schleimhaut verrieth nur noch einen 
kaum nennenswerten Grad von Rötung und Schwellung; der Zungenbelag war trans 
parent, die Hauttemperatur normal, der Puls kräftig, dessen Frequenz der Norm sehr 
nahe! — 
Der Rest der Konvaleszenz vollzog sich unter immer seltenerer Darreichung der Arznei 
in unglaublich kurzer Zeit; nachdem einmal Schlaf, Eßlust, normale Darment 
leerung und kopiösere Harnsekretion sich eingesunden hatten, kehrten Muskelkraft und 
Leibesfülle rasch zurück; bevor nach dieser geschilderten überraschenden Veränderung drei 
weitere Tage vergangen waren, vermochte niemand dem rüstigen Knaben anzusehen, daß 
sein Leib erst vor wenigen Tagen das Substrat zu einem so gewaltigen Krankheitsprozeß 
abgegeben hatte.! Dieser Fall erschien auch meinem Kollegen und mir als ein Uni 
kum; wir wagten nicht zu unterscheiden, ob es eine spontane Genesung oder 
eine Kunst Heilung war, deren Zeugen wir gewesen, wenn auch jeder für sich geneigt 
sein mochte, die letztere gelten zu lassen, da sie uns in anderen Krankheitsfällen ver 
schiedener Art als Thatsache längst geläufig geworden war, und die sie auszeichnenden Ver 
laufserscheinungen an dem beobachteten Falle sich erkennen ließen. Wir sollten nicht gar 
lange in Ungewißheit bleiben. 
Schon nach Verlauf einer Woche begegnete ich außer dem Hause einem gleichgearteten 
Krankheitsfälle bei ärmlichen Leuten, denen soeben ein Kind ohne ärztliche Behandlung ge
	        
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