Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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Thymusdrüse bereits verödet ist, hat man vollkommen Ursache, auf An 
st e ck u n g zu schließen, entsprechend den allgemeingiltigen Gesetzen des Eiweiß- 
zerfalles, wonach immer die gleichen chemischen Spaltstücke erzeugt werden, die 
den Zerfall eingeleitet haben; dazu gehören ebensowohl die aus Ammoniak 
verbindungen hervorgehenden übelriechenden Gase, wie die bei gewöhnlicher 
Temperatur festen oder flüssigen Eiweißspaltstoffe; eine Grenze dazwischen 
kann gar nicht gezogen werden, denn gewisse Substanzen sind bei unserer 
Blutwärme gasförmig, aber bei niedrigerer Temperatur tropfbar 
flüssig. Was bei der Ansteckung den Ausschlag giebt, ist die direkte Be 
rührung, denn der Chemismus hat mit der Wärmeübertragung die gleiche 
Voraussetzung, insofern als die chemische Wirkung nicht über einen gewissen 
Bezirk hinausreicht; je näher die Körper, um so leichter die Uebertragung und 
gasförmige Produkte sind ja in der günstigen Lage, sich uns leicht nähern 
zu können, darum hat man allen Anlaß, gesunde Menschen vor den Aus 
dünstungen ihrer Familienmitglieder durch Absonderung zu schützen, ja mehr 
als das! man hat Grund, die Kranken vor ihrer eigenen giftigen Aus 
dünstung zu sichern. Daß uns Dünste krank machen können, wer wollte 
das leugnen? Es giebt Menschen, deren Mundhöhle Verwesungsdüfte aus 
haucht, die einen in der Nähe Befindlichen ohnmächtig machen können, selbst 
wenn man schon längst aus ihrem Bereich ist, wirkt der dunstige Überfall auf 
unsere Atemwege noch nach; Schüttelfrost und Brechreiz stellen sich ein und 
können kaum wirksamer als durch einen Schluck Branntwein, der als 
Antiseptikum dient, verscheucht werden. Damit kämen wir nun darauf hin, 
die Frage zu erörtern, o b wir es in unserer Gewalt haben, diphtheritische 
Kranke wieder gesund zu machen und ob es vorbeugende Schutzmittel 
gegen die Affektion giebt? Beide Fragen dürfen bejaht werden! Im Hin 
blick darauf, daß ein Fäulnisprozeß im Werke, das diphtheritische An 
steckungsgift von flüchtiger Natur und Erkältung die veranlassende Ur 
sache ist, finden wir die einfache Richtschnur für unsere Maßregeln gegeben. 
Zunächst muß das flüchtige Ausdünstungsgift, welches wegen 
seines Geruchs nach Heringslacke auf Trimethylamin hindeutet, unschädlich 
gemacht werden durch häufige Besprengung der Krankenzimmerlust mit Essig 
aus einem Zerstäubungsapparat; außerdem sollen fleißig die Fenster ge 
öffnet werden, um das giftige Ausdünstungsgas thunlichst zu verdünnen. 
Ferner soll man, bis aus der Apotheke die weiterhin zu besprechenden Mittel 
herbeigeschafft worden sind, unverzüglich den Fäulnisprozeß unterbrechen, indem 
man dem Patienten, gleichviel, ob Erwachsener oder Kind, soviel stark ver 
süßten Branntwein zu trinken giebt, bis Berauschung eingetreten ist; 
wenn in solcher Weise das Blut mit Alkohol beladen wird, so ist nicht allein 
das Weiterschreiten der Eiweißverwesung gehemmt, weil Alkohol an und 
für sich die Fäulnis verhindert, sondern, indem sich allmählich der Alkohol in 
der Blutbahn durch die Atmung in Essigsäure umwandelt, so wird durch 
dieselbe das ammoniakalische Verwesungsgift im Blut neutralisirt und 
aus einer entsauerstofften Eiweißsubstanz, als welche wir die giftigen 
Krankheitsprodukte anzusehen haben, wiederum eine ungiftige sauerstoff 
haltige gemacht. Von welcher erheblichen Bedeutung ein Reichtum oder ein 
Mangel an Sauerstoff in chemischen Verbindungen werden können, erläutert 
die sauerstoffarme phosphorige Säure im Gegensatz zur sauerstoffgesättigten 
Phosphorsäure; die erstere ist ein sehr heftiges Gift, die letztere von fast 
gleichem Charakter wie die unschädliche Essigsäure! — (Schluß folgt.)
	        
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